Ruhrgebiet. Chinas Chinas Top-Talkshow-Moderatorin Hong Huang glaubt: Das Ruhrgebiet hat den Wandel hingekriegt. Den Menschen in Chinas Kohlenpott will sie zeigen, wie ihre Zukunft aussehen kann.
Auf den Kulturschock Deutschland hat Hong Huang ihre Zuschauer ja schon eingestellt. Über ein äußerst exotisches Volk redete sie da in ihrer Talkshow im chinesischen Fernsehen: Ein Volk, bei dem 20 Uhr 20 Uhr bedeutet und nicht etwa „irgendwie abends vielleicht”, wie es doch wohl normal ist; ein Volk, das gerade vom Auto aufs Rad umsteigt, während die Chinesen vom Rad aufs Auto umsteigen. Und, nicht zu fassen, sonntags sind in jenem Land alle Geschäfte zu. Außer im Bahnhof, oder ein Koreaner oder ein Türke betreibt sie.
Die Einstimmung war nötig. Denn Frau Hong – bei Chinesen steht der Familienname vorn – Frau Hong wird nachlegen. Sie, die prominente Moderatorin, auch beliebter Gegenstand von Klatsch und Tratsch, sie dreht im Ruhrgebiet. Es geht eine Talkshow auf Reisen.
Winzig kleine Autobahn
Um 9.15 Uhr am Mittwoch – sehr deutsch, sehr pünktlich – klettern sie und Zheng Shanshan, Wang Ke und Shang Ming vor einem Bochumer Hotel in einen Kleintransporter der Ruhr Tourismus GmbH (RTG). Am Steuer Jochen Schlutius, der sie acht Tage führen wird. Für schöne Bilder ist es der perfekte Tag, das Ruhrgebiet räkelt sich unter dem blauesten aller Himmel, Shang Ming filmt im Vorbeifahren den Ruhr-Congress, filmt das Starlight-Theater, RTG freut sich; Shang filmt den Stau auf der A 40, oh Schreck, was filmt er denn da?
Freilich sind Menschen aus Beijing von drei Kilometern Stau auf einer winzig kleinen Autobahn nicht zu verschrecken, man merkt es daran, dass Hong Huang gerade hier eröffnet mit dieser Frage: Wie man das geschafft hat mit dem vielen Grün nach der Industriezeit? Oder ob das immer so war? Später wird sie die diabolische Frage nachschieben: Ob es denn viel regnet hier? Schlutius ist irgendwie da rausgekommen. Respekt!
Man könnte schreiben, dass die Kulturhauptstadt die Journalisten aus China angelockt hat. Aber das stimmt leider nicht ganz: Die „Deutsche Zentrale für Tourismus” zahlt die Reise. Das ist ein verbreitetes Verfahren im Reisejournalismus in der Hoffnung, über die Berichterstattung zahlende Touristen anzuziehen.
Autobahnen, Schwarzwald, Bier
Die ganze Wahrheit ist: Praktisch kein Chinese hat je die Namen Essen, Dortmund oder Bochum gehört. Bevor Sie sich jetzt erregen: Die Stadt Suining, geringfügig größer als das ganze Ruhrgebiet, kennt hier auch keiner. Was also weiß der Chinese von Deutschland? „BMW, Mercedes, Schwarzwald”, sagt Hong Huang, „Fußball, Bier, Autobahnen, Ingenieurkunst . . .”
Das ist ja schon mal eine sympathische Auswahl. Und nah am eigentlichen Thema ihrer Reise: Wie kommt eine Industrieregion durch, wenn die Kohle nicht mehr trägt? Die Frage ist sogar ganz aktuell: Denn in Shan Xi, der Provinz mit Chinas Kohlenpott, stehen viele Zechen vor der Schließung. Die Menschen sind unruhig.
Daher dreht sie im Ruhrgebiet. Wie man Wandel hinkriegt. „Ich kann den Zuschauern vielleicht sagen: Bei mir könnt Ihr Eure Zukunft sehen”, sagt Hong Huang. Das hat jetzt schon länger keiner mehr vom Ruhrgebiet gesagt.
Der Wettlauf des Schlingknöterichs
Den Gasometer werden sie besuchen, den Landschaftspark, den Innenhafen, acht Tage Industriekultur, das ist schon beinhart . . . „Ich erwarte eine Industrielandschaft, die sich in etwas Neues und Spannendes verwandelt hat”, sagt die Moderatorin. Damit ist sie weiter als manch andere: Als sie ihre Visa abholten, sagte ein Mitarbeiter der Botschaft, an die Ruhr sollten sie nicht fahren, da gebe es nichts zu sehen.
Aber nun sind sie einmal da: Später am Tag dreht das Team auf Zollverein. Jeden Pfeiler nehmen sie auf, jede Backsteinwand und jede Leitung. Denn sie brauchen Bilder für bis zu drei Talkshows und für eine Folge des Reisemagazins „Kreatives Leben”. Jedes Atelier filmen sie, das ist das neue Zollverein, und selbst die Installation „Les Coureuses”: „Schlingknöterich im Wettlauf” heißt die auch und sieht exakt so aus. Hätte auch sehr gut in den Kulturschock gepasst, Schlingknöterichwettlauf, nicht zu fassen, Deutschland . . .