Essen. . Matthias Kutschmann verfilmt mit “Radio Heimat“ ein Buch von Frank Goosen: So bunt und launig war eine Jugend im Ruhrgebiet der 80er-Jahre.
Kürzlich erst hat uns der Dortmunder Regisseur Adolf Winkelmann mit seinem Film „Junges Licht“ in das Ruhrgebiet der 60er- Jahre entführt. Wie von ihm nicht anders zu erwarten, war das eine sehr realistische und deshalb auch nicht wenig düstere Rückbesinnung auf die Menschen in der Zeit von Kohle und Stahl.
Im Vergleich dazu wirkt Matthias Kutschmanns Film „Radio Heimat“ über die 80er-Jahre im Revier wie ein buntes Lutschbonbon, randvoll mit all den Typen, die immer schon den Charme dieser Region ausgemacht haben. Und mit vier Teens im Zentrum, die verzweifelt erotische Kontakte zum anderen (oder auch gleichen) Geschlecht suchen.
Der Film basiert auf Frank Goosens gleichnamigem Erzählband, einer liebevollen Hommage an Bochum, an seine Familie und all die wundersamen Gestalten mit ihrer gradlinigen Dialektik, die das Leben und seinen Sinn so wunderbar einfach auf den Punkt bringen können: „Woanders is auch Scheiße“.
Kutschmann, nebenbei auch noch Drehbuchautor und Kabarettist, hat sich da reichlich bedient. Es treten all die Schauspieler auf, die man in diesen Breiten erwartet, von Ingo Naujoks bis Jochen Nickel, von Ralf Richter bis Uwe Lyko, von Peter Lohmeyer bis Elke Heidenreich. Und alle sind sie so herzlich wie komisch.
Vier Jungs und ihre Nöten mit den Mädchen
Obwohl die Rückblicke auf den tollpatschigen Vater (Stephan Kampwirth) und die forsche Mutter (Sandra Borgmann) der Hauptfigur Frank zu den schönsten Szenen des Films gehören, geht es der Regie doch eigentlich zuvorderst um die ganz traditionelle Entwicklungsgeschichte von vier Jungs und ihren Nöten mit den Mädchen. Frank (David Hugo Schmitz) hat sich in seine Mitschülerin Carola verliebt, weiß aber in seiner Schüchternheit nicht an sie heranzukommen. Seine Freunde Pommes (Jan Bülow), Spüli (Hauke Petersen) und das Großmaul Mücke (Maximilian Mundt) wollen ihm helfen, weil sie selbst davon zu profitieren hoffen. Man versucht es mit der Tanzschule („wo man Mädchen ja anfassen darf“), man organisiert eine Kellerparty und plant sogar eine Band, weil Musiker ja jede Frau bekommen können.
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Doch als Frank sich endlich am Ziel wähnt, legt Carola daheim Angelo Branduardi auf und rümpft bei James Brown die Nase – unvereinbare Gegensätze tun sich da auf. Das Zeitkolorit der Achtziger hat Kutschmann hübsch eingefangen. Die Tanzschule mag sich zwar seit den Sechzigern nicht sehr verändert haben, aber wie hier die verschiedenen Ausprägungen elterlicher Kellerbars aufgereiht werden, das hat schon Klasse.
Wenig erfreuliche Erzählerstimme
Weniger erfreulich ist Franks unermüdliche Erzählerstimme, die eigentlich nicht mehr zu berichten hat, als der Zuschauer anschließend ohnehin zu sehen bekommt. „Voice Over“ wird hier also lediglich als Vorbereitung von Szenen benutzt, die eigentlich ganz gut für sich allein bestehen könnten. Wenn es schließlich auf Klassenfahrt an die Nordsee geht, bei Goosen eher eine Marginalie, verliert der Film zeitweise gänzlich seine Verankerung im Ruhrpott.
Mit der Karikatur eines von Ordnung besessenen Lehrers (Peter Nottmeier) und seiner verhuschten Kollegin (Petra Nadolny) ist „Radio Heimat“ nun plötzlich ganz nahe am herkömmlichen Pennäler-Film angekommen. Zumal es an der Küste ganz besonders auffällt, dass keiner der Schüler auch nur ein wenig Ruhrgebiets-Idiom auf den Lippen trägt.
Reviergrößen im Abspann
Wer bis jetzt noch Reviergrößen vermisst hat, bekommt sie im Abspann geliefert. Da haben dann noch Martin Semmelrogge, Hans-Werner Olm, Willy Thomczyk und sogar Manni Breuckmann ihren Kurzauftritt. Man könnte den Regisseur für einen Sammler halten.