Essen. . Die Duisburger Autorin Lamya Kaddor nennt Fremdenhass die „Zerreißprobe“ der Gesellschaft. Ein Gespräch über Burkas, den IS und „Deutschomanie“.
Irgendwann nach einem ihrer vielen Vorträge hat Lamya Kaddor gemerkt: Es ist eigentlich egal, was sie sagt – immer gibt es da ein, zwei, drei Menschen, die ihre Argumente gar nicht hören wollen. „Für die hasserfüllte Ablehnung, die mir entgegenschlägt, reicht es, dass ich überhaupt etwas sage“, schreibt die Duisburgerin in ihrem neuen Buch. Fremdenhass, insbesondere Islamfeindlichkeit, nennt sie eine „Zerreißprobe“ für die Gesellschaft. Mit Britta Heidemann sprach sie darüber, wie Islamophobie und Hass zusammenhängen und warum Deutschland ein Einwanderungsministerium benötigt.
Was denken Sie, wenn Sie den Satz „Deutschland bleibt Deutschland“ hören?
Lamya Kaddor: Das ist ein Satz, der von einer Illusion geprägt ist. Weil kein Land der Welt so bleibt, wie es war. Gesellschaft befindet sich im Wandel, verändert sich.
Sie verwenden in Ihrem Buch das Wort Deutschomanie. Was ist das?
Kaddor: Diesen Begriff habe ich geprägt, um Menschen zu beschreiben, die sich fremdenfeindlich äußern, aber die nicht typisch und merkbar rechtsextrem daherkommen. Deutschomanie ist der innere Drang, ständig auf Migranten zu zeigen, die sich angeblich nicht anpassen wollen. Diese Hysterie, in der wir uns befinden, dieses Schüren von „Überfremdungsängsten“.
Können Sie verstehen, dass die Burka irritierend wirkt?
Kaddor: Natürlich. Der Anblick einer vollverschleierten Frau kann befremdlich wirken. Zudem ist die religiöse Motivation, die hinter der Vollverschleierung steckt, in unserer modernen Gesellschaft schlicht nicht mehr nachvollziehbar. Das heißt dennoch nicht, dass alles, war mir befremdlich vorkommt, gleich verboten gehört. Im Bereich der Öffentlichkeit sollte man die Burka tolerieren. In öffentlichen Einrichtungen, wo persönliche Kommunikation unabdingbar ist, würde ich dagegen ein Verbot aussprechen.
Der IS trägt den Islam schon im Namen. Hat er tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun?
Kaddor: Natürlich hat er etwas mit Islam zu tun. Aber für mich ist dieser trotzdem kein „islamischer“ Staat. Wenn es eine Kernbotschaft des Islam gibt, dann die, dass man in Frieden mit den Menschen leben soll, die Schöpfung bewahren soll. Der IS ist auch kein Staat. Er ist eine Gruppe Fanatiker, die Religion und Terror verbindet – das kann ich natürlich nicht leugnen. Aber das heißt nicht, dass das „der Islam“ sei. Religiösen Fanatismus gab und gibt es in jeder Religion, nur im Moment ist es sicherlich der islamische Fundamentalismus, der uns am stärksten in Atem hält.
Im Buch „Zum Töten bereit“ schreiben Sie, dass Islamismus und Fremdenfeindlichkeit einander als Legitimation und Triebfeder dienen.
Kaddor: Einen Bodensatz an Fremdenfeindlichkeit gibt es in jeder Gesellschaft. Im Moment nimmt er aufgrund islamistischer Attentate, die als vermeintliche Legitimation genommen werden, drastisch zu. Gleichzeitig radikalisieren sich immer mehr Jugendliche, die sich als Opfer von Fremdenfeindlichkeit sehen. Das ist ein Wechselspiel. Deshalb darf man sich nicht den Kampf gegen Islamismus auf die Fahne schreiben, ohne gleichzeitig zu sagen, wir bekämpfen auch die Fremdenfeindlichkeit. Denn die wird als Argumentationsgrundlage von den Islamisten genutzt, um junge Menschen zu rekrutieren.
Sie haben einmal geschildert, dass die Rekrutierung besonders gut bei jungen Menschen gelingt, die vorher gar nicht religiös waren.
Kaddor: Das belegen auch Studien, dass diese jungen Menschen oftmals nicht aus frommen Elternhäusern kommen. Es ist eine falsche Annahme, dass viele dieser Extremisten besonders gläubig seien. Im Gegenteil. Viele wissen gar nicht, was im Koran steht. Der Islamist, der auf die Jugendlichen zugeht, sucht sich eben keinen religiös Gebildeten, der ihm womöglich noch widerspricht.
Deutschland war immer schon ein Einwanderungsland, schreiben Sie und erinnern an die Hugenotten – und daran, dass auch damals Flüchtlingshäuser in Flammen standen. Was lehrt uns das?
Kaddor: Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass Deutschland immer schon von Einwanderung geprägt war. Und immer gab es Konflikte, egal woher die Menschen kamen. Es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, wie man ein Einwanderungsland gestalten könnte. Kanada ist ein gutes Beispiel, wie ich finde. Politiker müssen den Menschen endlich die Wahrheit sagen: Einwanderung ist Teil unserer deutschen Identität. Warum haben wir kein Einwanderungsministerium, warum haben wir keine Einwanderungskriterien? Warum haben wir keine klare Vorstellung davon, wann Integration gelungen ist? Ich habe das Gefühl, indem man all das nicht schafft und die Wahrheit über den gesellschaftlichen Wandel nicht benennt, will man einen bestimmten Teil der Bevölkerung ruhig halten. Das halte ich für fahrlässig. Wir sehen gerade, wohin das führt: zum Wahlerfolg der AfD.
Was wäre eine angemessene Reaktion auf Fremdenfeinde?
Kaddor: Man kann jemanden, der wirklich eingefleischt ist, mit sachlichen Argumenten nicht beikommen. Trotzdem muss man Widerstand leisten. „Nein, das sehe ich nicht so“ würde für den Anfang reichen. Man darf diese Menschen nicht unwidersprochen reden lassen. Ich wünsche mir von jedem verantwortungsvollen Bürger im Land, dass er sich dem entgegenstellt.
Im Buch schreiben Sie nicht, was die Migranten tun könnten, damit es weniger Fremdenhass im Land gibt. Eine bewusste Entscheidung?
Kaddor: Ja, natürlich. Wir reden permanent darüber, was Migranten tun können. Außerdem würde das nahelegen, sie wären selbst schuld am Hass auf sie.
So, wie die Frauen mit den kurzen Röcken selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden?
Kaddor: Das ist der klassische Denkfehler. Im Osten Deutschlands gibt es einen höheren Anteil an Fremdenfeindlichkeit, aber einen geringen Anteil an Fremden. Fremdenhass braucht kein reales Objekt, er speist sich aus Vorurteilen. Mein Buch beschäftigt sich nun mit der Mehrheitsgesellschaft – nachdem ich selbst bislang immer über die Minderheiten in unserem Land gesprochen habe.
Lamya Kaddor,1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen geboren, unterrichtet in Dinslaken Islamische Religion und lebt mit ihrer Familie in Duisburg. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Ihr Buch „Die Zerreißprobe – Wie die Angst vor Fremden unsere Demokratie bedroht“ erscheint im Rowohlt-Verlag (240 Seiten, 16,99 €).