Essen. . Kinder, Proletarier, Alltag: Die harten Fotos von Erich Grisar sind eine Entdeckung. Das Ruhrmuseum stellt sie nun auf der Zeche Zollverein aus.
Dass es noch solche Entdeckungen zu machen gibt, hätte sich selbst Theo Grütter als Chef des Essener Ruhrmuseums nicht träumen lassen: Fotografien von ungeahnter Härte, drastisch, realistisch, vom Alltagsleben im Kohlenpott der späten 20er-Jahre.
Eine Lkw-Ladung Arbeiter auf dem Weg zur Schicht, Bauarbeiter mit den Füßen im nassen Beton, bitterarme Menschen beim verbotenen Fischen nach nasser Schlammkohle in den Absetzbecken der Zechen, alte Männer mit Hut und am Stock in grotesk schlecht sitzenden Jacken und Mänteln, Schrottplatz-Arbeiter beim Ausweiden der ersten ausrangierten Automobile, Mädchen beim Gänsehüten auf dem gepflasterten Trottoir an der schlammigen Straße in der Siedlung Kaiserstuhl. Und Kinder, die sich die Hände wärmen über einer Feuertonne, die früher mal einem Bauern als Milchkanne diente.
Fotografiert hat sie der 1898 in Dortmund geborene, in Dortmund gestorbene Schriftsteller und Arbeitersohn Erich Grisar. Er wird gerade in der ganzen Breite seines Schaffens wiederentdeckt. Gerade sind im Bielefelder Aisthesis Verlag seine Romane „Ruhrstadt“ (1931) über Dortmund, seine Zerstörung und die Nazi-Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkriegs („Cäsar 9“, nach dem Planquadrat der alliierten Bombenangriffe) erschienen, ebenso die 1946 veröffentlichten Erinnerungen „Kindheit im Kohlenpott“.
Unbedingt sehenswerte Ausstellung
Und nun breitet eine unbedingt sehenswerte Ausstellung des Ruhrmuseums die fotografische Arbeiten Erich Grisars aus. Sie bereichern das Bild vom Revier dieser Zeit um die Blickwinkel der kleinen Leute, der Arbeiter und Kinder, der Bauern auf dem Wochenmarkt, der Steinbruch-Arbeiter und Kriegsinvaliden, der reisenden Teppichhändler, der Eis- und Bürstenverkäufer. Da, wo sich auswärtige Fotografen wie Albert Renger-Patzsch für Schattenspiele auf Werkssiedlungen und imposanten Industriebauten interessieren, wo ein Heinrich Hauser die Exotik von qualmenden Halden und funkensprühenden Hochöfen suchte, da dokumentierte Erich Grisar den Alltag, die Lebens-, Liebens- und Leidensbedingungen der hart arbeitenden Menschen.
Auch interessant
Ja, auch Grisar hat eine verschwindend winzige Mutter mit Kinderwagen vor den gigantischen Kühltürmen der Kokerei Kaiserstuhl abgelichtet. Aber er fotografierte auch enge Mansarden aus der Fußbodenperspektive, die Schlange der Armen, die an der Freibank des Schlachthofs um Abfallfleisch anstanden, und immer wieder Kinder – beim hordenweisen Durcheinander auf großen Spielplätzen wie beim Kohlesammeln, Zeitungs- und Obstverkaufen, beim spielerischen Brikett-Mauerbau und auf der Kinderseilbahn, beim Staunen über rotierende Kreisel und beim Angebersprung in die Sandgrube. Viele von ihnen haben bereits erwachsene, ja mitunter greise Gesichter.
2017 auf Zeche Zollern
Erich Grisar, der eine Lehre als Vorzeichner absolviert hatte und auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten wurde, brachte sich die noch junge Technik des Fotografierens selber bei. Der überzeugte Sozialist arbeitete ab Mitte der 20er-Jahre als Journalist, reiste später auch durch ganz Europa. Und immer beschrieb, immer lichtete er ab, was er kannte, was ihn interessierte: Proletarier (auch die unter den Tieren) und andere, die ihren täglichen Tag meistern. Arm. Gebeugt vielleicht. Aber ungebrochen.
Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928-33. Kohlenwäsche Zeche Zollverein Essen, Gelsenkirchener Str. 181. 14. März-28. August. Mo-So 10-18 Uhr. Eintritt: 3 €. 2017 wird die Ausstellung in der Dortmunder Zeche Zollern zu sehen sein.