Gelsenkirchen. . Gelsenkirchen-Ückendorf ist ein Stadtteil zwischen Problemviertel, No-go-Area – und aufsteigendem Kreativquartier. Das Foto-Projekt „bild.sprachen“ will an der Bochumer Straße mit Kultur das Schmuddel-Image vertreiben.
Wasserpfeifen gehen inzwischen woanders über die Theke. Nur das Schild über der Eingangstür erinnert noch an das „Downtown Shisha Café“. Der Laden steht leer wie so viele andere auch auf der Bochumer Straße tief im Süden Gelsenkirchens. Wo noch grellbunte Lichterketten in den Schaufenstern die Kunden locken, bieten Wettbüros, Call-Center, Internetcafés oder Dönerbuden ihre Dienste an. Ückendorf ist ein Stadtteil zwischen Problemviertel, No-go-Area und aufsteigendem Kreativquartier.
Seit Jahren versucht die Stadt mit mäßigem Erfolg, einem ganzen Straßenzug das Schmuddel-Image zu nehmen. Wo das gelingt, geschieht es derzeit vor allem durch die überaus rege Kulturszene. Wie jetzt im „Downtown Shisha Café“. Das Projekt „bild.sprachen“, seit 2008 eine ambitionierte Plattform für regionale und internationale Fotografie auf der reichen Galeriemeile, verlegte in diese Räume die erste Station eines fotografischen Rundgangs durchs Viertel.
Der Fokus richtet sich auf die Menschen, die hier leben, auf die, die schon ewig im Quartier Zuhause sind, und auf die Zugezogenen. Unter dem Titel „Ach du lieber Nachbar“ widmen sich sechs Fotografinnen und Fotografen sowie eine Künstlergruppe der Lebens- Arbeits- und Freizeitwelt. Auf dieser Straße, wo erst Anfang des Jahres Polizisten massiv angepöbelt und bei einer Großrazzia Läden und Hinterzimmer gefilzt wurden, erzählen die Fotografien in den Schaufenstern leerstehender Ladenlokale ganz andere Geschichten.
Frontal in Szene gesetzt
Geschichten der „Businesspeople“ zum Beispiel, die im Wissenschaftspark Gelsenkirchen arbeiten, aus unterschiedlichsten Ländern kommen und die der Hamburger Fotograf Kim Sperling frontal in Szene gesetzt hat. Der Hannoveraner Fotograf Timo Jaworr setzt sich mit den Kreativen der Künstlersiedlung Halfmannshof auseinander, mit der Geigenbauerin Tosca Schobelt zum Beispiel oder dem Triennale-Intendanten Johan Simons. Diese Fotos werden wie die meisten anderen auch auf Hausfassaden und Schaufenster entlang der Bochumer Straße projiziert.
Die Fotografin Brigitte Kraemer besuchte in Ückendorf Flüchtlinge aus Syrien, Albanien und dem Irak. Ihre Fotos unter dem Titel „Neue Nachbarn“ werden in einem Hinterhof auf eine morbide Mauer geworfen und bekommen so eine ganz besondere Ästhetik. Kraemer: „Mich interessiert, wie das Leben der Zuwanderer hinter den Zahlen aussieht.“ Sie zeigt lachende Kinder, nachdenkliche Eltern, grübelnde Alte, Menschen mit Angst, Neugier oder Hoffnung in den Augen, persönliche Geschichten eben. Ähnlich der Ansatz von Jörg Meier aus Iserlohn, der in seiner Serie „We are family“ innerfamiliäre Konstellationen von Zuwanderern dokumentiert.
Jenseits aller Krawall-Klischees
Nachbarschaft jenseits aller Krawall-Klischees zeigt die Fotoserie „Der Garten von Frau Hirsch“. Die Essener Fotografin Eva Czaya begleitete Frauen beim „Urban Gardening“ direkt an der viel befahrenen Bochumer Straße. Christiane Hantzsch aus Berlin wirft Schlaglichter auf das Leben in einer Siedlung.
Der Open-Air-Ausstellung gelingt es zumindest ein Stück weit, neue Nachbarn kennenzulernen, hinter sonst verschlossene Fassaden zu blicken, Vorurteile abzubauen. Und sie lässt dann vielleicht so manchen Besucher weniger „Ach, du lieber Himmel“, sondern öfter „Ach, du lieber Nachbar!“ sagen.
Bis 27. Februar von 18 bis 22 Uhr entlang der Bochumer Straße zu sehen.