Essen. Philipp Stölzl inszeniert in Essen Gounods Oper „Faust“. Die Bühne ist opulent, die sängerischen Leistungen sind delikat bis hin zum Chor.
Basel, Berlin, jetzt Essen, Aalto-Theater: Philipp Stölzls Inszenierung von Charles Gounods Oper „Faust“ hat schon einige Jahre auf dem Buckel – und könnte eigentlich auch „Margarethe“ heißen. Nicht aus Ehrfurcht vor Goethes Über-Faust, sondern, weil Stölzl die Gretchen-Geschichte aus diesem vielgestaltigen Drama sogleich auf den Punkt bringt.
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Gretchen ist die Ausgestoßene. Noch bevor Faust vom Greis im medizinischen Multifunktionsstuhl durch Mephisto zum Jüngling und im rosa Elvis-Anzug (Kostüme: Ursula Kudrna) zu dessen Alter-Ego mutiert, sieht man sie am Ende, auf dem Krankenbett, wo sie später die Giftspritze bekommt. Gebrechlich (Faust), verführt, überfordert und verzweifelt (Gretchen), dumpf, gefangen im archaisch anmutenden Ehrbegriff (Valentin): Der Chor: pralles Wirtschaftswunder, 50er-Jahre, muffige Spießigkeit – die pausbäckig maskierte Gesellschaft blickt aus toten Augen auf dieses Gretchen und tritt gleich kräftig nach.
Was stört, fliegt bei Stölzl einfach raus
Die Bühne (Philipp Stölzl/Heike Vollmer) beherrschen hohe Wände und ein riesiger zentraler Turm, um den die Drehbühne alles wie ein Riesenpanorama um die Achse kreisen lässt. Autoscooter, Kinderschaukel in Gretchens glitzerndem Märchenwald, Juwelen unterm Tannenbaum, Valentins kriegslädierte Kameraden, das Leben dreht, zuweilen oberflächlich.
Stölzl greift beherzt auf das Werk zu. Szenen wie Auerbachs Keller, Gretchens Ballade vom „König in Thule“: Was stört, fliegt raus. Was die Nebenfiguren – wie die Hosenrolle des Siebel, Fausts Liebes-Konkurrenten – schärft, kommt rein, wie eine oft gestrichene Arie, die Karin Strobos wunderbar klar und differenziert gestaltet. Stölzl schneidet, rückt in den Fokus, was sonst unterginge, sogar Teile der Ballettmusik erklingen. Am Ende steht, nicht zuletzt auch Dank eines überwiegend hochkarätig singenden Ensembles, eine packend erzählte Geschichte.
Ungeteilter Jubel
Der raumgreifende, wandlungsfähige Bass von Alexander Vinogradov als Mephisto: ein Ereignis. Abdellah Lasri adelt seinen Faust (bald auch an der Deutschen Oper Berlin) mit Schmelz und diskret strahlender Höhe, die ihn für das französische Fach prädestinieren. Und Jessica Muirhead als Gretchen lässt nicht nur die Töne in der berühmten Juwelenarie glitzern, sondern verleiht der tragischen Partie Farben und Zwischentöne, die berühren.
Versiert und biegsam führte Sébastien Rouland Essens Philharmoniker bis auf kleine Eintrübungen durch Gounods schillernde Partitur. Der Chor (Patrick Jaskolka) schlug sich tapfer unter Masken. Ungeteilter Jubel beim Publikum. Karten: 0201/8122 200