Düsseldorf. . Goethe war fasziniert vom Karneval, mochte es aber nicht, dass die Menschen dabei über die Stränge schlagen. Das zeigt eine Ausstellung in Düsseldorf.

Nein, so richtig jeck war Goethe nicht gerade, zumal er 1749 in einer karnevalistisch eher unbedeutenden Nachbarstadt von Mainz das Licht der Welt erblickte. Aber er war ein Karnevalist: immer wieder fasziniert und angezogen vom Maskentreiben – sofern es in geordneten Bahnen geschah. In seiner Sturm-und-Drang-Jugend durchtanzte der Patriziersohn mit seiner Verlobten Lili Schönemann die Maskenbälle der besseren Gesellschaft von Frankfurt; in den Briefen, in denen er davon berichtet, nennt er sich gar „Fastnachts-Goethe“. Und 1814 ließ er sich sogar hinreißen zu dem Vers „Ohne Fastnachtstanz und Mummenspiel ist im Februar auch nicht viel“.

Doch als ihn die „Narrenakademie“ im niederrheinischen Dülken zu ihrem Ehrenmitglied ernannte und dem Geheimrat ein Narrendiplom der Monduniversität samt zweier Karnevalsorden (Mond und Windmühle) aus dünngewalztem Zinnblech ins ferne Weimar übersandte, packte der fast 80-Jährige alles in einen Karton und beschriftete ihn mürrisch mit „Rheinische Absurditäten“. Und als er 1788 in den tatsächlich mehr als ausgelassenen Karnevalstrubel in Rom gerät, entrüstet es den standesbewussten Geheimrat doch sehr, dass hier „Weiber der untersten Klasse, mit entblößtem Busen und frecher Selbstgenügsamkeit“ ihren Heidenspaß finden. Als Weimarer Minister muss er Maskenumzüge für die fürstlichen Herrscher organisieren und empört sich erst einmal bei seinem Brieffreund Lavater über derartigen Unfug – bevor er im Laufe der Jahre immer mehr Gefallen an derlei wohlgeordneten, sittsamen Hof-Festivitäten findet.

„Hanswursts Hochzeit“

All dies und viele andere Facetten am zweischneidigen Verhältnis des Dichterfürsten zur fünften Jahreszeit beleuchtet das Düsseldorfer Goethe-Museum in einer Ausstellung. Also auch den Heidenspaß, den der junge Goethe an Fastnachtsstücken wie „Hanswursts Hochzeit“ hat – mit noch viel mehr derbdrastischen Formulierungen als die, die bis heute für seinen „Götz von Berlichingen“ stehen.

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Widerlegt wird in Düsseldorf auch jene Legende, die vor allem ein paar Kilometer weiter südlich gepflegt wird und der zufolge Goethe den Kölner Karneval besucht habe. In Wahrheit erhörte der Dichterfürst die Bitte aus Köln, er möge doch „ein Lied“ über den Karneval schreiben – nachdem er mit 20 ausführlichen Fragen zunächst sorgfältig recherchiert hatte, welche Auswirkungen der 1823 mit einer Reform in geregelte Bahnen gebrachte Karneval denn etwa auf die Geistlichkeit oder das Militär habe. Das Ergebnis waren fünf schlicht gehaltene Vierzeiler-Strophen mit dem Kernsatz, der Goethes Grundhaltung spiegelt: „Löblich wird ein tolles Streben, / Wenn es kurz ist und mit Sinn“. Goethe plädierte für „den geordneten Regelverstoß“, bringt es der Düsseldorfer Museumsleiter Christof Wingertszahn auf den Punkt.

Im Taumel des Wahnsinns

In seiner lebhaften, anschaulichen und klug reflektierenden Reportage über „Das Römische Carneval“, die Goethe 1788 im Auftrag des Weimarer Wochenblättchens „Journal des Luxus und der Moden“ verfasste, erwähnt er auch, dass der Corso, auf dem der Karnevalszug stattfand, eine der „wenigen Straßen in Rom“ sei, die „das ganze Jahr rein gehalten werden“ und nun noch „sorgfältiger gekehrt und gereiniget“ werde, ja man bessere sogar noch „das schöne, aus kleinen, viereckig zugehauenen und ziemlich gleichen Basaltstücken zusammengesetzte Pflaster“ aus. Goethe kommt angesichts dieses Festes, „das dem Volke eigentlich nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt“, ein Jahr vor der Französischen Revolution zu dem Schluss, „dass Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des Wahnsinns genossen werden können“. Von da bis zu Lenins Spott, deutsche Revolutionäre würden einen Bahnhof erst stürmen, wenn sie eine Bahnsteigkarte gelöst haben, ist es ja nur noch ein kurzer Schritt.