Taiga/Dortmund. . „Cosi“ und „Figaro“ hat der exzentrische Dirigent Teodor Currentzis schon eingespielt. Jetzt kommt er ins Dortmunder Konzerthaus. Ein Interview.

Wohl keine Mozart-Deutung des letzten Jahrzehnts hat die Welt der Klassik so beschäftigt wie die Opernaufnahmen des Atheners Teodor Currentzis. In Perm, an Sibiriens Grenze, igelte er sich mit seinem Orchester MusicAeterna und Solisten ein – und schuf in fiebrigen, kraftzehrenden Wochen einen „Figaro“, den Kritiker als Sensation einstuften.

Nun kommt der Exzentriker mit gleich drei großen Mozart-Opern ins Dortmunder Konzerthaus (siehe Info-Kasten). Zuvor sprach Lars von der Gönna mit Currentzis übers Proben, Lügen und Küssen. Das Interview begann fast zwei Stündchen später als erwartet. Er musste noch zu Ende proben. Eine schöne Brücke zur ersten Frage.

Sie gelten als Proben-Maniac. Das kann ja zwei Dinge bedeuten: Lieben oder hassen Sie Probenarbeit?

Currentzis: Proben sind für mich die Möglichkeit der Neu-Entdeckung. Jedes klassische Orchester spielt ja wahnsinnig viel Bekanntes, Beethoven, Brahms etc. Und immer meint man: Wir kennen das schon, wir wissen doch, wie man so etwas spielt. Tatsächlich suche ich das Gegenteil: Eine Probe ist für mich die Chance, mit Musikern einen anderen Weg zu gehen als den, den „man“ geht oder immer schon gegangen ist. Es ist immer auch eine Chance, sich selbst neu zu entdecken.

Werden Aufführungen da zur Nebensache, wenn die Probe der Akt der Neu-Entdeckung des bekannten Unbekannten Mozart ist?

Currentzis: Ach nein, die Aufführungen genieße ich schon sehr. Aber eine gute Probe schenkt einem bestenfalls diesen Punkt, wo man gemeinsam keine Grenzen mehr kennt, wo das Herz sich öffnet, wo die Musik ihr eigenes Leben beginnt. Das ist umwerfend.

Können Sie das präzisieren?

Currentzis: Tja, was ist der schönste Moment im Leben eines Mannes: die Hochzeit mit der Frau, die er liebt? Oder doch die allererste Begegnung mit ihr, diese unvergleichliche Emotion, wenn man weiß: Das ist die Richtige. Ich glaube: letzteres.

Ist eine gute Probe also wie der erste Kuss?

Currentzis: Exakt. Sie ist der erste Kuss!

Viele bewundern Sie. Andere aber argwöhnen, weil Sie sich kreative Freiheiten im Dirigieren nehmen.

Currentzis: Wissen Sie, was mir den Mut gegeben hat, beim Dirigieren Dinge zu wagen, mehr auszuprobieren, meinem Herz und Gefühl zu folgen?

Sie werden es hoffentlich verraten.

Currentzis: Es war die Begegnung mit zeitgenössischer Musik. Du probst also ein ganz frisches Stück, veränderst Dinge, nimmst dir ein paar Freiheiten. Und irgendwann steht plötzlich der Komponist des Werks im Raum. Jetzt wird’s spannend! In 99,9 Prozent der Fälle hat er zu mir gesagt: „Also, die Stelle hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Aber so ist es viel besser. Macht bloß weiter, bleibt dabei!“

Was haben Sie daraus gefolgert?

Currentzis: Keine Angst vor meiner Intuition zu haben. Die ist enorm wichtig. Mag sein, dass Mozart keine Gitarre oder Laute in die Partitur geschrieben hat. Aber ich spüre: die brauchen wir hier unbedingt -- und wenn Mozart jetzt hier wäre, der würde sagen: „Tu es!“ Ich glaube, dass auch die größten Genies nie alle Möglichkeiten ihrer Schöpfungen haben sehen können.

Und so haben Sie sich dann „Ihrem“ Mozart genähert?

Currentzis: Ja, und ich komme nochmal zum Anfang zurück. Ich glaube, die unbekanntesten Dinge in unserem Leben sind die, von denen wir glauben, sie komplett zu kennen. Das war mein Ansatz: Mozart ist total bekannt, aber unentdeckt. Ich will ihn befreien von einer bloßen Reproduktion, seine Schönheit und Humanität entdecken – und sie mit Menschen teilen.

Sind denn alle vor Ihnen, die großen Namen von Furtwängler bis Giulini, im Irrtum gewesen?

Currentzis: Ich habe großen Respekt vor ihnen. Aber die Plattenindustrie hat über Jahrzehnte auch eine Annäherung an den Hörer gesteuert, die nicht nur ein Segen war. Ich denke oft an Glenn Gould – und welche Revolution sein Bach-Spiel war. Das war ein Spiel gegen die Lüge. Das war die Wahrheit. Und jede Zeit hat ihre eigene Wahrheit.

Was ist Ihre Mozart-Wahrheit?

Currentzis: Einen Avantgardisten hören zu lassen, fortschrittlich, ungeheuer tief. Er ist für mich der Komponist der ewigen Jugend.

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Die konzertanten Aufführungen der Mozart-Opern im Konzerthaus: Cosi fan tutte (Freitag, 13.11., 19 h), Nozze di Figaro (Sonntag, 15.11., 18 h, Don Giovanni (Dienstag, 17.11., 19 h). Kaufkarten: 0231 - 22 696 200.

Wir verlosen 3 x 2 Eintrittskarten. Wer gewinnen möchte, nennt neben Namen und Telefonnummer noch den Wochentag der gewünschten Aufführung. Anrufe bis Mittwoch, 11.11., 12 h, unter Tel. 01378 / 78 76 19, (0,50 €/Anruf aus dem dt. Festnetz, Mobilfunktarif höher)