Charlotte Roche (“Feuchtgebiete“) legt nach: Im neuen Roman “Mädchen für alles“ erzählt sie von den Schattenseiten des Mutterglücks.

Es muss schwierig sein, Charlotte Roche zu sein. Wie soll man sich selbst noch toppen, wenn man schon das schockierendste, freizügigste, also: feuchtgebietigste Buch der Saison geschrieben hat? Man kann sich selbst ausziehen, klar, seine eigene Biografie ausstellen: So hat es Roche in „Schoßgebete“ gemacht und etwa über den dramatischen Autounfall geschrieben, in dem ihre halbe Familie umkam. Und nun? Lässt sie es noch einmal so richtig krachen mit dem Ziel „das Böse abzufeiern“ – in Metzel- und Meuchel-Szenen, die von US-Serien und Splatterfilmen inspiriert sind. American Psycho, made in Cologne.

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Dabei fängt diesmal alles ganz harmlos an, also nicht mit Sex, sondern mit einer Party. Chrissi besäuft sich im eigenen Haus mit Wodka, so heimlich, wie sie vieles heimlich tut: Fernsehserien gucken und zum Fitnesstraining gehen – denn Ehemann Jörg findet Leute, die Sport treiben, uncool. Also versteckt Chrissi die Muskeln unter ordentlich Fett, mit Chips und Bier gezüchtet. Als aber das neue, hübsche Kindermädchen Marie ins Haus kommt, schnürt sie sich mit Gaffa-Band aus dem Werkzeugkeller eine super Taille unterm Morgenmantel.

Und zack!, schon geht’s ab

Bisschen was gekocht für Marie, mit einer teuren Handtasche bestochen, und zack!, geht’s schon ab – um mal in Roches Diktion zu bleiben. Chrissis Verführungskünste werden von ihr selbst schonungslos kommentiert, recht eigentlich aber geht es ihr nicht um bisexuelle Grenzerfahrungen, sondern um etwas anderes: Sie sucht eine Komplizin, um Rache an den Eltern zu nehmen, die sie einst zum Scheidungskind machten – und plötzlich mit einer gemeinsamen Postkarte aus Spanien überraschen.

Der fröhliche Plauderton, der wilde Stellungswechsel ebenso wie die Anwendung von Fleischermessern auf Vorabendserienniveau herunterredet, aber könnte durchaus eine Art Kunstform sein. Stellen wir Charlotte Roche einmal, probehalber, unter Niveauverdacht: In „Feuchtgebiete“ hat sie uns unseren täglichen Hygienewahn vor Augen (und Nasen) geführt, in „Schoßgebete“ die moderne Ehehölle ausgeleuchtet und nun die dunklen Seiten der Mutterschaft. Ihre Chrissi ist eine typische, verwöhnte Latte-Macchiato-Mama, die im hübschen Eigenheim von Mordphantasien ebenso getrieben wird wie von voll krassen Selbstzweifeln: „Bin ich stabil genug, um lange für ein Kind da zu sein?“

Es könnte sein, dass hier eine Autorin versucht, die Menschwerdung einer jungen Frau nachzuzeichnen: Von der Partnersuche über die Beziehung bis hin zur Mutterschaft schilderte Charlotte Roche in ihrer Skandal-Trilogie die gesellschaftlichen Erwartungen und ihre Wirkungen auf die weibliche Psyche. Und verpackt sie in eine Form, die auch in Zeiten der Reizüberflutung garantiert nicht übersehen werden wird. Wäre es so, es wäre – ziemlich clever.

  • Charlotte Roche: Mädchen für alles. Piper, 240 S., 14,99 €