Düsseldorf. . Mehr als tanzende Striche und muntere Sterne: Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt die „Malerei als Poesie“ des großen Katalanen Miró.

„Der Gesang des Hahns durchlöchert einen Schädel, das Mondanbellen des Hundes weckt den Hahn des katalonischen Bauern auf, der auf dem Tisch neben dem Porrón steht“ – das klingt wie eine Mischung aus durchgedrehter Kurzgeschichte und anekdotischem Prosagedicht, ist aber in Wahrheit der Titel eines Bildes von Joan Miró. André Breton, Wortführer der Surrealisten, befand 1928 gar: „Miró ist wahrscheinlich der Surrealistischste von uns allen“.

So viel Abgrund passt nicht gut dazu, dass die ach so heiteren Motive von Mirós Gemälden heute auf Kaffeebechern, Werbelogos und Kalenderblättern beinahe allgegenwärtig sind. Dass sich der Maler in der allgemeinen Wahrnehmung zu einer Art Paul Klee mit mediterranem Einschlag entwickelt hat, lässt tiefschürfende Ausstellungen zu seinem Werk schon seit einer ganzen Weile zur Rarität werden. So liegt die letzte Miró-Ausstellung in der Landeshauptstadt fast schon drei Jahrzehnte zurück.

Mirós Lesezimmer im Zentrum der Ausstellung

Nach der Düsseldorfer Kunsthalle 1987 unternimmt nun die Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz gegenüber einen neuen Anlauf, mit der durchaus stattlichen Zahl von rund 110 Gemälden, Zeichnungen und Künstlerbüchern. Unter dem Titel „Malerei als Poesie“ geht Kunstsammlungs-Chefin Marion Ackermann den Spuren des Literarischen im Kosmos Miró nach.

Auch interessant

So steht in der Mitte der retrospektivisch angelegten Ausstellung ein Lesezimmer, in dem ein Teil von Mirós Bibliothek rekonstruiert ist, mit vier Lesesesseln und einigen Regalen voller Bücher zum Herausnehmen, von der Gesamtausgabe des Surrealisten Alfred Jarry („Pere Ubu“) über Bücher von Goethe und Mirós Leitstern Picasso bis zu Krimis von Edgar Wallace und einem großformatigen „Fantomas“-Band. Sein Enkel Joan erinnert sich noch heute, wie sorgfältig der Maler und seine Frau die Vorhänge zuzogen, um die Buchrücken gegen die gleißende Sonne über dem Atelier auf Mallorca zu schützen.

Der Maler, der kein Intellektueller war, aber sich gelegentlich in einer Lektüreliste vornahm, den „ganzen Freud“ zu lesen, hat zeitlebens über 250 Künstlerbücher gemeinsam mit Schriftstellern gestaltet; manche sind nur streichholzschachtelgroß, andere lassen den Tisch unter sich verschwinden, wenn man sie aufschlägt. Miró entwickelte eine ganz eigene, verrätselte Bildsprache und baute ähnlich wie Magritte und andere Surrealisten gern Buchstaben und Zahlen in seine Gemälde ein.

Getrübtes Leuchten in den„Werken des Zorns“

An derlei kunsthistorischen Verzweigungen vorbei werden nicht wenige Besucher indes beim genauen Hinsehen auch neu über den Maler Miró staunen können. Wie er 1925 mit einer fast monochrom blauen Leinwand (bis auf das winzige Gestirnchen links oben) Yves Klein vorwegnahm, wie er traumwandlerisch sicher mit einem minimalen Einsatz glühend roter oder quietschend gelber Farbe auf blauem oder blassem Grund ein Leuchten erzeugte, das aus den Bildern herausspringt und der eigentliche Grund für die oberflächlich fröhliche Wirkung seiner Bilder ist.

Es bleibt aber stets noch genügend Schwarz auf diesen zu würdigen – gerade in den „Werken des Zorns“ der ‘68er- und 70er-Jahre, in denen Mirós Pinsel sich mit dem Protest der Studenten, mit der Empörung gegen Franco solidarisierte. Das einstige Leuchten seiner Primärfarben ist getrübt, die Pinselschwünge werden archaischer, wüster. Und auch surrealistische Gemälde wie die „Rhythmischen Figuren“, die zu den vier Miró-Hauptwerken in der Kunstsammlung NRW gehören, erzählen ja genug von dunklen Träumen, erotischen Obsessionen, Fremdheit und Verstrickungen.