Mülheim. . Weder auf der Bühne noch im Land haben sie eine Bleibe: Das Schicksal von Flüchtlingen thematisiert Elfriede Jelinek und die Inszenierung der „Schutzbefohlenen“ bei den Mülheimer Stücken.

Sie dürften gar nicht hier sein. Nicht auf der Bühne, nicht in Deutschland. „Wir sind illegal“, sagt einer, der aus dem Chor heraus nach vorne getreten ist. Doch die Flüchtlinge, die 2013 in der Hamburger St.-Pauli-Kirche Zuflucht suchten, fanden im Thalia-Theater einen wirkmächtigen Fürsprecher und in Elfriede Jelineks Textvorlage „Die Schutzbefohlenen“ eine Stimme. In der Inszenierung von Nicolas Stemann war das Stück am Samstagabend bei den Mülheimer Theatertagen zu Gast. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin geht damit zum 17. Mal ins Rennen um den Dramatikerpreis; vier Mal hat sie ihn – bis jetzt – erhalten.

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„Niemand nimmt uns auf, das ist unerhört. Und unerhört bleiben auch wir“ – im Jelinek-typischen Wortspielsound entfaltet sich ein multiperspektivisches, hochaktuelles Drama, welches das heuchlerische Gutmenschentum selbsternannter Retter ebenso reflektiert wie die grundehrlichen Hassparolen in der Festung Europa. „Freiheit kann ein Gefühl sein“, hören wir da in Liedermacher-Manier eine Geschichte von Ausländern, die schon in der U-Bahn den Platz wegnehmen: „Den stoß’ ich vom Bahnsteig runter.“ Und dazu spielt die Mundharmonika.

Jelineks Text mixt einen von Aischylos inspirierten Chor der Flüchtlinge mit Sätzen aus der Integrationsbroschüre „Zusammenleben in Österreich“, empört sich über die Blitzeinbürgerung der Netrebko und dichtet mit dem „Bärli-Song“ ein brutales Requiem auf im Mittelmeer ertrunkene Kinder. Wie viel Anteil aber die Präsenz und die Geschichte der Hamburger Flüchtlinge an der erschütternden Wirkung des Abends hat, ist eine Frage, die bei der Vergabe des Dramatikerpreises zu diskutieren sein wird. Jelineks großes Verdienst ist unbestreitbar, die moralische Ausweglosigkeit und Doppelbödigkeit ihres Unterfangens sichtbar zu machen: Wer die Stimme für andere erhebt, bringt er diese anderen nicht zugleich zum Schweigen? Und wenn es im Stück ironisch heißt „Wer ist überhaupt diese Jelinek?“ – dann ist das sicher nicht Koketterie, sondern Demut gegenüber Schicksalen, die unbegreiflich bleiben. www.stuecke.de