New York. Die Bronzefigur “Der zeigende Mann“ könnte bei einer Auktion in New York 130 Millionen Dollar bringen. Ihr Erschaffer Alberto Giacometti gilt manchen als bedeutendster Bildhauer unserer Zeit - unumstritten ist er nicht.

Schon der allererste Kritiker hat erkannt, welches Genie er vor sich hat: Der noch unbekannte Künstler sei in der Lage, "wahre Fetische" zu erzeugen, heißt es da. Er könne sie zeigen, die "objektiven Formen unseres Begehrens, unserer Wunschvorstellungen". Geschrieben hat die Worte Michel Leiris Ende der 1920er Jahre über einen Mann, der heute vielen als der bedeutendste Bildhauer des 20. Jahrhunderts gilt: Alberto Giacometti.

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Von Dorothee Baer-Bogenschütz

Der Kritiker sollte Recht behalten. Giacomettis Skulpturen erzielen weltweit Rekordpreise - so wohl auch jetzt wieder in New York. Am Montagabend (Ortszeit) wird dort eine Version des "zeigenden Manns" ("L'Homme au doigt") versteigert. 130 Millionen Dollar (rund 116 Millionen Euro) soll die langgestreckte Skulptur bringen, es wäre ein Weltrekord für eine Plastik.

Im andauernden Kampf mit sich selbst

Doch warum sind die langgezogenen Bronzeplastiken des Schweizers so berühmt? Gründe gibt es viele, die meisten hätten mit unseren Gefühlen beim Betrachten zu tun, schreiben Kritiker. Mit den dünnen Armen und Beinen und kaum erkennbaren Gesichtern setzten die Skulpturen Mensch und Raum in eine neue Beziehung, heißt es. Der Betrachter erkenne sich wieder, weil sie wie jeder Einzelne von uns vergeblich in der Welt unterwegs seien.

Außerdem habe sich Giacometti stets auf eine Art selbst in Frage gestellt, die vielen Menschen vertraut sei. "Er hatte immer Zweifel", zitiert ein Artikel der "Zeit" den Bildhauer Thomas Schütte. "Das macht sein Werk aus, bis heute." Der Künstler sei "der große Grübler und Gründler", heißt es weiter, "stets auf der Suche und mit sich selber ringend". Andere sehen den Giacometti-Kult kritischer. Wirklich revolutionär sei dessen Arbeit nie gewesen, urteilt Kritiker Hanno Rauterberg - sie sei eben dekorativ und eigne sich gut für Bankenfoyers und Wohnzimmer von ultrareichen Großsammlern.

Eine Kleingeldschale wird zum Kunstwerk

Doch solche Schmähungen ficht viele im Kunst- und Sammlerbetrieb nicht an. Tatsächlich ist die Verehrung des 1901 im schweizer Kanton Graubünden geborenen und 1966 in Chur gestorbenen Künstlers auch abseits der Auktionshäuser immens. Ständig zeigt irgendwo eine Werkschau Giacomettis Werke. Alle paar Jahre sorgt ein neuer Prozess um Fälschungen seiner Figuren für Schlagzeilen. Es heißt, die Skulpturen seien nicht nur begehrt, sondern auch einfach nachzuahmen.

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Da sind beispielsweise die Arbeiten aus der Frühphase, in der er noch den Surrealisten zugerechnet wurde. Damals sei in Giacomettis Werk deren Konzept erkennbar gewesen, "dass Kunstwerke in die Alltagsrealität gehobene Fundstücke aus dem Unbewussten sein sollen", heißt es in einer Beschreibung der "Alberto Giacometti-Stiftung". Ein Beispiel dafür ist der "Taschen-Entleerer", eine Schale, in die man üblicherweise Kleingeld und Schlüssel ablegen würde, die aber durch die Bildhauerarbeit zur Kunst erhoben ist.

Und da sind Ausstellungen mit den Arbeiten des "reifen Stils", die in den 1940er Jahren und danach entstanden sind und Giacometti zu einem Vorreiter der Moderne machten. Dazu zählen auch die lebenshohen, aber ultraschmalen Menschenplastiken. Sie begründen bis heute den Ruhm des Weggefährten von Picasso und Sartre. Sogar auf dem 100-Franken-Schein prangt sein Foto, auf der Rückseite ist die Plastik "Der schreitende Mann" zu sehen. Das neueste Kapitel der Giacometti-Gigantomanie dürfte am Montagabend geschrieben werden. (dpa)