Essen. Hunderte Menschen an Rhein und Ruhr sind Statisten am Theater. Ihre Namen kennt kaum jemand. Vier von ihnen stellen wir hier vor.

Statist beim Theater: Reich wird man damit nicht, doch trotzdem gibt es an Rhein und Ruhr Hunderte Menschen, die in ihrer Freizeit voller Begeisterung auf die große Schauspielbühne steigen. Reporter Lars von der Gönna hat verschiedene Statisten getroffen und mit ihnen über ihre Motivation gesprochen.

1. „Man darf nicht eitel sein“

Dieter Salje.
Dieter Salje. © Volker Hartmann

„Tatsächlich habe ich vor vielen Jahren an der Folkwang-Schule ein richtiges Schauspielstudium begonnen, bin dann aber doch Lehrer geworden. Losgelassen hat mich das Theater nie. Angefangen habe ich vor 60 Jahren in Herne, ich war tatsächlich der berühmte siebte Zwerg, meine Mutter spielte „Schneewittchen“. Was ich an der Statisterie liebe? Die Professionalität: zu sehen, wie auch in der zehnten Aufführung noch alle ihr Bestes geben, wie alles ineinandergreift, um den Zuschauer zu erreichen, das fasziniert mich. Die Begegnung mit Sängern und Schauspielern ist einfach schön. Wenn die merken, dass man seine Sache ernst nimmt, wird das wirklich sehr geschätzt. Die wichtigste Eigenschaft, die ein Statist haben muss? Geduld! Man wartet viel und man darf nicht eitel sein. Wer glaubt, groß rauskommen zu können, der ist hier fehl am Platz!“

Dieter Salje (67), Diplom-Handelslehrer im Ruhestand, ist seit Jahrzehnten Statist,
darunter bei den Ruhrfestspielen und am Musiktheater Gelsenkirchen.

2. „Das Schönste? Der Applaus!“

Inge Nieswand.
Inge Nieswand. © Volker Hartmann

„Vor 65 Jahren war ich das erste Mal im Theater: ,Peterchens Mondfahrt’. Richtig überwältigt hat mich das. Später stand eine Notbühne vor dem ausgebombten Dortmunder Theater, auf der Sänger für uns schmetterten: ,Mein Mädel ist eine Verkäuferin.’ Ich Schauspielerin? Meine Mutter hätte mich für verrückt erklärt! Aber die Liebe zum Theater blieb. Was für mich das Schönste ist? Applaus! Und dass man Seiten von sich entdeckt, die man nicht kennt. Mit 66 habe ich in ,Frühlings Erwachen’ gespielt: Wendla, ein kleines Luder von 14. Da war ich von mir selbst überrascht. Neulich war ich im Dortmunder ,Tatort’ eine Nachbarin. Robert Stadlober trug meinen Hackenporsche. Dass der so berühmt ist, wusste ich gar nicht. Ich hab seit 20 Jahren keinen Fernseher.“

Inge Nieswand, 75, Verwaltungsfachwirtin i.R., aktiv im Seniorentheater und Mitglied des „Sprechchors“ am Schauspiel Dortmund.

3. „Ein ganz anderer Respekt“

Carina Thomas.
Carina Thomas. © Lars Heidrich

„Eine Kollegin vom Basketball hat mir von der Statisterie erzählt. Das Schauspielhaus fand ich schon immer super, da musste ich nicht lange überredet werden. Praktische Theatererfahrung hatte ich aber keine. Durch meine Arbeit am Theater habe ich noch mal einen ganz anderen Respekt davor bekommen, was eine einzige Aufführung an Aufwand braucht. Zwei Stunden vorher ist man in der Maske. Ob ich auch als Statist aufgeregt bin? Kommt drauf an. In ,Drei Männer im Schnee’ hatte ich viele Tanzeinlagen – als einzige, die nicht im Tanzclub ist: Da hat man schon ein bisschen Herzklopfen. Mich beeindruckt immer wieder, wie ,normal’ und nett die Schauspieler sind, gar nicht hochnäsig. Man erlebt sie ja auch hinter den Kulissen, beim Kaffeetrinken oder so. Manche grüßen sehr aufmerksam, jeden einzelnen Statisten. Auch das imponiert mir.“

Carina Thomas (24) studiert Sport und Kunst. Neben ihrem Statistendasein betreut sie am Bochumer Schauspielhaus auch die Kinderstatisterie.

4. „Keine Rolle kann man einfach weglassen“ - Ein Interview

Norbert Kaulhausen, Leiter der Statisterie der Rheinoper in Duisburg.
Norbert Kaulhausen, Leiter der Statisterie der Rheinoper in Duisburg. © Kai Kitschenberg

Herr Kaulhausen, Sie sind Statist und Leiter der Statisterie. Was braucht man dafür?

Kaulhausen: Ein großes Telefonverzeichnis. Ich sorge dafür, dass Statisten da sind, wenn sie gebraucht werden. Ich bin Ansprechpartner, wenn Regisseure Wünsche haben.

Wie lauten solche Wünsche?

Beleibte Männer, ältere Damen... Oder Soldaten – da muss man dann nach relativ jungen Männern suchen, die auch körperlich fit sind.

Worauf bereiten Sie jemanden vor, der Statist werden möchte?

Den Hinweis auf absolute Zuverlässigkeit gebe ich sehr deutlich. Und dass es viele Aufführungen am Wochenende gibt.

Wann sind üblicherweise Proben?

Meist nachmittags oder abends. Vormittagsproben sind eher die Ausnahme.

Die Gage ist nicht hoch...

Sie haben Recht. Wenn man es nur des Geldes wegen tut, sollte man es lassen – da gibt es lukrativere Tätigkeiten. Proben werden mit sechs Euro pro Stunde bezahlt, eher eine Aufwandsentschädigung. Bei den Aufführungen variiert es nach Aufgabe. Wenn man nur einmal über die Bühne geht, kann es auf 15 Euro hinauslaufen, wenn man aber richtig viel zu tun hat, sich drei Mal umziehen muss, Kulissen bewegt und so etwas, können es schon mal 50 Euro sein.

Bedeuten kleine Rollen gelegentlich große Verantwortung?

Fast keine Rolle ist so unwichtig, dass man sie einfach weglassen kann. Es muss hundertprozentig präzise laufen. Da darf keiner fehlen.

Wie alt ist Ihr ältester Statist?

In der „Cavallaria Rusticana“ in der letzten Spielzeit hatten wir eine 90-jährige Dame.