Dorsten. . Cornelia Funkes neuer Reckless-Band führt in die Ukraine und nach Russland. In „Das goldene Garn“ verzaubern Schneewittchen-Spiegel und Dornröschenschlaf die Leser.
Es war einmal eine erfolgreiche deutsche Kinderbuchautorin, die von Dorsten nach Los Angeles zog und dort die Märchen der alten Welt neu entdeckte. Am Freitag erscheint Cornelia Funkes dritter „Reckless“-Band, in dem Schneewittchen-Spiegel und Dornröschenschlaf verzaubern: „Das goldene Garn“. Maren Schürmann sprach mit der 56-Jährigen, die das amerikanische Du lieber mag als das distanzbringende Sie, über Märchen, die Grenzen sprengen.
In Deinem neuen Band führst Du Jacob Reckless in eine aktuelle Krisenregion, in die Ukraine und nach Russland. War das Zufall?
Cornelia Funke: Ich weiß schon seit fünf Jahren, dass es in diesem Buch in die Ukraine und nach Russland geht. Als die Ereignisse in der Ukraine passierten, war das natürlich gespenstisch – und doch nach allem, was ich durch meine historische Recherche gelernt hatte, nicht überraschend. Die Dominanz Russlands ist nicht neu, ebenso wenig wie der Wunsch der Ukraine, unabhängig zu sein.
Du hast in unserem letzten Gespräch gesagt, dass fantastische Welten nur unsere Welten sind in einem anderen Kostüm. Gilt das auch für die Spiegelwelt?
Funke: Ja, ganz stark. Ich spiele darin mit dem Spiegelbild unserer Welt. Manchmal verzerre ich es, manchmal bleibe ich sehr nah an unserer historischen Realität um 1860 herum. Hinter dem Spiegel gibt es Staaten, die in unserer Welt nur davon träumen, unabhängig zu sein.
Du schreibst nun: „Die zwei Länder hatten so viel gemeinsam, dass der größere Nachbar den kleineren regelmäßig verschluckte.“
Funke: Sie haben wirklich viel gemeinsam! Unsere Grenzen sind ja sehr künstlich. Auch Deutschland ist erst im 19. Jahrhundert erfunden worden. Es gab früher vollkommen andere Grenzen. In der Geschichte ist die Ukraine sehr oft entweder Teil von Russland oder wieder unabhängig gewesen. Wir alle denken zu sehr in Grenzen und vergessen, wie willkürlich sie oft gezogen werden. Es ist traurig, denn man findet so viel, was diese Völker miteinander verbindet. Man muss sich nur die Geschichte ansehen, die Märchen.
Welche Märchenfiguren sind das?
Funke: Die Baba Jagas zum Beispiel, diese hexenähnlichen Frauen, oder die Rusalkas, die Nymphen in den Flüssen – beide kennt man in der Ukraine und in Russland. In russischen Märchen gibt es oft sehr mächtige Frauenfiguren. Anders als bei uns: Die Prinzessin ist schön und wartet auf den Prinzen. Ich habe aber auch ältere Fassungen unserer Märchen gefunden, bei denen sich etwa Rotkäppchen alleine rettet und die Frauen wesentlich stärker sind. Viele alte Volksmärchen sind uns in sehr zahmen, bürgerlichen Versionen bekannt.
„Das goldene Garn“ – der Titel Deines neuen Buches –, auf welches Märchen geht das zurück?
Funke: Das habe ich erfunden (lacht). Es gibt goldenes Garn in Märchen, aber ich meine damit die unerklärliche, schicksalhafte Bindung, die wir manchmal zu anderen Menschen haben. Zwischendurch gefiel meinem Verlag „Teuflisches Silber“ als Titel besser. Aber mein Titel war immer „Das goldene Garn“.
Das letzte Mal hast Du die Wartezeit bis zum nächsten Band mit einer App zur Spiegelwelt verkürzt. Was hast Du jetzt geplant?
Funke: Ich werde im Internet Kurzgeschichten veröffentlichen. Und es wird Spiegelwelt-Pässe geben, die Fans auf der ganzen Welt mit sich tragen und über die sie sich online austauschen können. Dann spricht ein Gestaltenwandler aus Russland etwa mit einem Goyl aus Asien.
Ursprünglich war eine Trilogie geplant. Nun stellst Du Dir eine Märchen-Reise um die ganze Welt vor. Wie viele Bände werden es?
Funke: Ich nehme an sechs. Ich habe so Lust bekommen auf die Märchen, die man noch nicht kennt. Ich habe mit den Recherchen über Asien angefangen: Japan, China, Philippinen . . . Es ist, als wenn man eine Schatzschachtel nach der anderen aufmacht. Ich bin neugierig auf Amerika, Südamerika, Afrika . . .
Cornelia Funke in Oberhausen
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Wird am Ende der Satz stehen: „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“?
Funke: Ich hoffe doch sehr. Ich habe ja lieber ein glückliches Ende. Aber ich bin bei Jacob und Fuchs nicht sicher, ob das wirklich gut für die beiden ist. In der Hinsicht überlasse ich es der Geschichte, da weiß ich überhaupt noch nicht, wo es langgeht. Ein Buch ist ja wie ein Labyrinth. Ich gehe rein und lasse mich überraschen. Die Geschichte versucht, mich immer zu überlisten. Aber wenn ich vorher genau wüsste, wann ich was schreiben muss, würde ich mich ehrlich gesagt auch sehr langweilen.
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