Washington. .

Ein Feinmechaniker des Tötens sprengt in Amerika an den Kinokassen alle Rekorde. „American Sniper“, die von Altmeister Clint Eastwood verfilmte Story über Chris Kyle, den mit offiziell 160 Abschüssen in vier Irak-Einsätzen treffsichersten Scharfschützen („Sniper“) in der Geschichte des US-Militärs, hat am langen Start-Wochenende nie dagewesene Einnahmen von 107 Millionen Dollar erzielt.

N ach dem Abspann gab es in vielen Lichtspielhäusern, so auch im altehrwürdigen Avalon-Theater in Washington, patriotisch grundierte Beifallsstürme. „Die Leute fürchten sich wegen der anhaltenden Welle von Terror-Attacken, sie suchen nach Helden“, erklärt Wheeler Dixon, Film-Experte der Universität von Nebraska, den Erfolg. Kritiker wie Rani Khalek, die in dem Film (Starttermin in Deutschland: 26.2.) die Verherrlichung eines „von Hass getriebenen Killers“ erkennt, wurden dagegen mit Schmähungen überzogen „Es ist eine Schande, dass Kyle nie die Chance hatte, dich ins Visier zu nehmen“, schrieb ein Anonymus, „du verdienst den Tod.“ Weil der Film für sechs Oscars nominiert ist, auch in den Königs-Kategorien „bester Film“ und „bester Hauptdarsteller“ (Bradley Cooper), nimmt die Kontroverse vor Verleihung der begehrtesten Filmpreise am 22. Februar täglich an Schärfe zu.

Reue kennt der Killer in Uniform nicht

Regisseur Eastwood wird von renommierten Rezensenten vorgeworfen, sich mit der Original-Figur gemein gemacht zu haben. In seiner über eine Million Mal verkauften Lebensbeichte, die Grundlage für das Drehbuch war, ließ der an „Vaterland, Gott und Familie“ glaubende Texaner Kyle seinem Hass auf „die Iraker“ und der „Freude am Töten der Feinde Amerikas“ seitenlang freien Lauf. Wenn er vor Gott treten müsse, könne er jeden einzelnen Schuss rechtfertigen. Chris Kyle betrachtete bei seinen Einsätzen in Falludscha und Ramadi die Welt durch das Fadenkreuz seiner Zieloptik. Was er sah, waren nicht Menschen. Sondern „Wilde“. Zweifel über das eigene Tun? Fehlanzeige. Reue? Keine Spur. Was ihn quält? Nicht mehr Kameraden mit dem Finger am Abzug das Leben gerettet zu haben. Chris Kyle funktionierte wie eine Drohne aus Fleisch und Blut.

Im Film kommt seine Gesinnung undistanziert als kumpelhaftes Berufsethos daher: Ich-muss-doch-meine-Jungs-beschützen. Und das mit preußischer Disziplin. Seth Rogen, Hauptdarsteller in der Farce über den koreanischen Diktator Kim Jong Un („The Interview“) fühlte sich an jene Szenen in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ erinnert, in denen ein Hitler-Scharfschütze vom Kirchturm aus Dutzende Feinde liquidiert.

Die kritischen Fragen blendet Eastwood fast völlig aus

Der Zoll, den Kyle für seine „Arbeit mit der Waffe“ zahlt, bleibt in „American Sniper“ schemenhaft. Bluthochdruck, eine sorgende Ehefrau (Sienna Miller), Schwierigkeiten bei der Integration ins normale Leben, die mit jedem Einsatz größer werden. Manches wird angedeutet, nichts buchstabiert Eastwood aus. Seine Botschaft: Chris Kyle ist das wahre Opfer des Krieges. Nicht die Iraker, die er aus regierungsamtlich abgesegneten Hinterhalten abknallte. Weil der politische Rahmen - George W. Bush, Saddam Hussein, die amerikanische Lüge von den Massenvernichtungswaffen - komplett ausgeblendet bleibt, wird Clint Eastwood das Stigma des nostalgisch verklärten Hurra-Patriotismus nicht los. Dabei hat der 84-Jährige in “Flags of Our Fathers“ und „Letters of Iwo Jima“ historische Kriegsstoffe schon differenzierter aufbereitet. Im Fall Kyle ist die Beißhemmung nicht zu übersehen. Dabei war der Protagonist eine dubiose Figur.

Die Behauptung, er habe den bekannten Südstaaten-Politiker Jesse Ventura wegen unbotmäßiger Äußerungen über Amerikas Elite-Soldaten geschlagen, entpuppte sich als Lüge. Kyles Familie musste 1,8 Millionen Dollar Entschädigung zahlen. Auch dass Kyle nach Hurrikan Katrina in New Orleans 30 Plünderer erschossen haben will, konnte nie von unabhängigen Stellen bestätigt werden.

Die tragische Ironie der Geschichte: Der Sniper wird am Schießstand erschossen

War der Mann auch bei seinen Fangschuss-Memoiren ein Aufschneider? Eastwood entzieht sich den Grauzonen bis zum tragisch-zynischen Schluss. Der echte Chris Kyle starb am 2. Februar 2013 nach Ende seiner Militär-Laufbahn auf einem Schießstand in Texas. Ein im Irak-Krieg zum psychischen Wrack gewordener Veteran, dem Kyle auf die Beine helfen wollte, jagte ihm mehrere Kugeln in den Kopf. Ab 11. Februar muss sich Eddie Ray Routh vor Gericht verantworten. Ihm droht die Todesstrafe. In „American Sniper“ wird das Ende des Helden Chris Kyle, der Frau und zwei Kinder hinterließ, nur verschämt mit einer Fußnote erwähnt.