Essen. . In der gut 25-jährigen Geschichte des Essener Aalto-Theaters stand Mozarts berühmte Chor-Oper noch nie auf der Bühne. Am Samstag hatte “Idomeneo“ Premiere. Musikalisch hat der Abend Festspiel-Qualitäten. Die Inszenierung Francisco Negrins dagegen ist von Hilflosigkeit geprägt.

Sollte der Advent nicht alle milde stimmen – und uns dem Anderen etwas Liebes sagen lassen? Im Falle des Aalto-Theaters hieße das Kompliment: Es ist derzeit das wohl großartigste vokale Konzerthaus unserer Heimat. Um es ohne Advent-Schmeichelei zu sagen: Musikalisch bleibt der Prachtbau an der Huyssenallee ungebrochen exzellent aufgestellt, wie die „Idomeneo“-Premiere am Samstag zeigte. Szenisch dagegen steht eine Inszenierung, von der Operndeutschland spricht, seit Längerem aus.

Nachgerade Festspiel-Niveau hat Mozarts singuläre Choroper am Aalto-Theater. Dieser „Idomeneo“, den Essens Generalmusikdirektor Tomáš Netopil dirigiert, macht süchtig: wie fein er mit den hellwach agierenden Essener Philharmonikern noch die kleinste Phrase ausformuliert, wie klar durchhörbar er die Nähe zu Mozarts Vorbildern aus Italien und Frankreich sucht. Netopil glückt mit einem blendend aufgelegten Orchester von den Celli bis zu den Hörnern jene seltene Präzision in Freiheit, die Mozarts Instrumente immerzu singen lässt. Das ist schlicht großartig!

Titelheld: kein femininer Mozart-Tenor

Nicht weniger sind die Sänger dieser schwer zu fassenden (und zweifellos heikel zu inszenierenden) Schicksalsoper zu preisen. Denn es ist eine für uns rätselhafte Welt, in der mehr als Herzenskonflikte und die Schatten des Trojanischen Kriegs der Meeresgott Neptun alles Geschehen zu lenken scheint. Ein Ensemble wie dieses macht die dramaturgischen Schwächen der Oper rasch vergessen.

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Da ist allen voran Julia Kleiters Trojaner-Prinzessin Ilia: ein Sopran mit jener raren Gabe, so nobel wie dynamisch aufzublühen, dazu mit stolzer Strahlkraft beschenkt. Der Amerikaner Eric Cutler ist keiner von den femininen Mozart-Tenören. Sein viriler Kern bekommt der Titelrolle ebenso ausgezeichnet wie die sanfte Belcanto-Politur, mit der er seine Partie clever veredelt. Auf deren mörderischsten Zierrat verzichtet die Essener Fassung. Warum nicht? Selbst der große Nicolai Gedda kämpfte damit.

Chor agiert wie im Stummfilm

Etwas unruhig geführt, aber mit idealem Hosenrolle-Timbre hört man Michaela Selingers Idamante. Leicht erkältet und darum noch mit Luft nach oben für künftige Furien-Töne: Simona Šaturovás Elektra. Elektrisierend vom Furor bis zum Trauer-Pastell singt Essens Opernchor. Dass ausgerechnet er in Francisco Negrins ratloser Inszenierung auf Stummfilm-Niveau über die Bühne irrlichtert, ist ein Trauerspiel. Kaum ist von Gott die Rede, sausen die Hände hoch. So platt werden nicht mal mehr bei „Anatevka“ in Bad Hersfeld die Statisten geführt.

Regie ohne schlüssige Lösung

Dem Mythengeladenen des Werks steht Negrin ohne schlüssige Lösung gegenüber. Einerseits weckt sein Bühnenbildner Tobias Hoheisel mit einem (bei jedem Schritt scheußlich knarzenden) geborstenen Schiffsrumpf Tsunami-Assoziationen. Dann wieder wird mit herabstürzenden Pappmaché-Steinen recht plump die alte Illusionsoper beschworen. Auch die multikulturell grundierten Allerweltskostüme sind kein Garant für Relevanz. Sicher: Ponnelles legendärer Kölner „Idomeneo“ würde uns heute vermutlich staubig vorkommen. Aber wenn die Alternative ist, Neptun wie einen orientierungslosen Bademeister auftreten zu lassen...

Starker Applaus für alle Musiker, eher reservierter Beifall für die Regie. Trotz Einschränkung: Mozart-Jünger sollten hin – zum Hören.