An Rhein und Ruhr. Isabelle Ongena lebt seit Jahren als Frau. Ihren Geburtsnamen kann sie dank eines neuen Gesetzes endlich ändern. Doch sie fürchtet Fallstricke.

Noch immer gibt es sie, die Momente in Isabelle Ongenas Leben, in denen sie von der Vergangenheit eingeholt wird. Stiche spüre sie immer wieder, wenn sie Briefe öffnet, die an einen Namen adressiert sind, der schon lange nicht mehr zu ihr gehört. Seit fast einem Jahrzehnt lebt die 42-Jährige, die als Mann geboren wurde, das Leben einer Frau. Monatelang hat die Duisburgerin die Debatte um das neue Selbstbestimmungsgesetz verfolgt. An den 12. April dieses Jahres, der Tag, an dem die Bundesregierung das neue Gesetz beschlossen hat, kann sie sich noch gut erinnern: „Ich habe ein Tränchen verdrückt.“

Das Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November in Kraft tritt, erlaubt trans, inter und nicht-binären Menschen, also Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen mit einem einfachen Verwaltungsakt zu ändern. Die langwierigen Gerichtsverfahren und psychiatrische Gutachten des Transsexuellengesetzes, das 1981 in Kraft trat und 2021 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, gehören damit der Vergangenheit an.

Geschlechtseintrag ändern: Viele Anfragen bei den Standesämtern

Bereits seit dem 1. August besteht die Möglichkeit, sich für die Geschlechts- und Namensänderung bei den städtischen Standesämtern anzumelden. Zwischen der Anmeldung und dem Termin müssen mindestens drei, maximal aber sechs Monate liegen. Und schon jetzt verzeichnen die Städte eine hohe Nachfrage: Wie ein Stadtsprecher erklärt, sind in Düsseldorf bisher 179 Anmeldungen eingegangen. „Wir haben mit einer Welle gerechnet, die auch so eingetreten ist“, erklärt er weiter auf NRZ-Nachfrage. In Kleve und Wesel hat es bisher jeweils 20 Anmeldungen gegeben.

Dem Standesamt der Stadt Essen liegen derzeit 160 Anträge vor, 137 Vorsprachen seien bereits terminiert worden, wie eine Sprecherin auf Rückfrage erklärt. Und auch in Duisburg haben sich bereits 86 Menschen angemeldet, um die Erklärung nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz abzugeben. Eine von ihnen ist Isabelle Ongena.

Transfrau aus Duisburg erzählt: „Kam ganz abrupt, quasi über Nacht“

Vor fast zehn Jahren hat sich das Leben der heute 42-jährigen Frau auf den Kopf gestellt: Ein konservatives Elternhaus und familiärer Druck bestimmten ihre Kindheit. Später führte sie ein geregeltes Leben, war erfolgreich im Job und gründete eine Familie. Dann kam die Trennung. „Da war ich am Nullpunkt angekommen.“ Oft sei Ongena umgezogen, „vor sich selbst weggerannt“, erinnert sich die Frau mit langen, dunklen Haaren und einer Körpergröße von etwa 1,85 Metern. Ihre Familie habe sie verloren und kam schließlich in Duisburg zur Ruhe.

„Und dann kam es ganz abrupt, quasi über Nacht“, erinnert sie sich. „Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte und bin die ersten zwei Wochen nur verstohlen im Hinterhof herumgelaufen und habe angefangen, hohe Schuhe zu tragen.“ Ein Jahr später dann begann sie, Hormone zu nehmen. „Und die verändern alles.“ Ihr Sexualtrieb sei weniger geworden, die Brüste gewachsen.

Neues Selbstbestimmungsgesetz: Das gilt ab 1. November

Mit Inkrafttreten des neuen Selbstbestimmungsgesetzes ab dem 1. November ist die Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens durch eine persönliche „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt möglich. Drei Monate vorher muss die Änderung bei dem Standesamt, bei dem die Erklärung abgegeben werden soll, angemeldet werden.

Das Gesetz ermöglicht eine Änderung des Geschlechtseintrags in männlich, weiblich, divers oder ohne Geschlechtsangabe. Der Vorname müsse der Geschlechtsangabe entsprechen. „Entspricht der bisher von der Person geführte Vorname dem gewählten Geschlechtseintrag, so kann der bisherige Vorname beibehalten werden“, heißt es seitens des Bundesjustizministeriums. Eine Änderung des Vornamens ohne Änderung des Geschlechtseintrags sei nach Vorschriften des Selbstbestimmungsgesetzes nicht möglich.

Auch eine geschlechtsangleichende Operation erwog sie zunächst: „Ich hatte das Aufklärungsgespräch und saß danach heulend auf der Treppe vor dem Uniklinikum, weil mir die Nebenwirkungen, die eine solche Operation mit sich bringt, große Angst gemacht haben.“ Also entschied sie sich dagegen – auch, weil sie die OP vor allem mit Gesellschaftsdruck in Verbindung brachte. „Häufig ist es ja so, dass viele denken, dass die OP die Ultima Ratio ist, das ist aber nicht so. Wer sagt denn, dass ich nur eine Frau sein kann, wenn ich auch das weibliche Geschlechtsorgan habe?“

Neues Selbstbestimmungsgesetz: Nach einem Jahr Änderung möglich

Die Duisburgerin wirkt selbstbewusst. Seit über elf Jahren ist Frau Tina an ihrer Seite. Mittlerweile fühlt sich die trans Frau wohl in ihrem Körper und bekomme Anerkennung für das, was sie ist. Und trotzdem erlebe sie noch häufig unangenehme Situationen, beispielsweise, wenn sie jemand auf ihre tiefe Stimme anspricht – oder auf ihre Größe. „Und daran wird auch das neue Gesetz nichts ändern“, ist sich Ongena sicher.

Auch, wenn es ein guter Schritt in die richtige Richtung sei, gebe es laut der 42-Jährigen einige „Fallstricke“. „Gut finde ich nicht, dass man den Eintrag nach einem Jahr wieder ändern kann. Was ist denn, wenn Menschen das ausnutzen, um Straftaten zu verschleiern?“, fragt sich die Duisburgerin. Die anberaumte „Reflexionszeit“ von drei Monaten zwischen Anmeldung und Änderung sehe sie ebenfalls kritisch. „Ich lebe seit zehn Jahren als Frau, da brauche ich keine drei Monate, um mich nochmal zu vergewissern“, stellt Ongena klar, die eine Selbsthilfegruppe für trans Menschen in Duisburg gegründet hat.

„Natürlich hilft das Gesetz, aber es muss eben noch über viele Dinge gesprochen werden.“ Zumindest – so hofft die 42-Jährige – spare sie sich nach ihrem Termin Anfang Dezember mehr Zeit und unangenehme Situationen. „Weil ich mich nicht mehr ständig erklären muss. Und ich freue mich auch, wenn auf Briefköpfen nicht mehr der tote Name steht. Denn ich fühle mich nicht mehr so und das bin ich auch nicht mehr.“