Duisburg. Isabelle (42) aus Duisburg lebte früher als Mann - auch noch, als sie ihre Partnerin Tina kennenlernte. Doch dann wurde alles anders.

Familie Ongena ist gern unterwegs, häufig ist es ein Spaziergang um den Block und manchmal auch ein Ausflug zum Freizeitpark, doch immer spürt sie die Blicke, hört das Getuschel: Hat der Junge etwa zwei Mütter? Oder ist das doch ein Mann? „Manchmal fühle ich mich wie in einer Telenovela“, sagt Isabelle Ongena. „Zieh dir eine Clownsnase auf und dann weißt du, wie es für uns ist.“ Familie Ongena ist eine Regenbogenfamilie und das bedeutet: Ja, der Junge hat zwei Mütter. Zum einen ist das Tina, seine leibliche Mutter, zum anderen ist das Isabelle, die einst als Mann gelebt hat und nun mit ihrer Transidentität offen umgeht.

Wenn sich Isabelle Ongena die alten Fotos ansieht, auf denen sie kurze Haare und einen dünnen Ziegenbart trägt, dann fühlt sich das für sie an wie ein anderes Leben. „Ich habe einen medizinischen Hintergrund“, erzählt sie. „Ich war erst im Rettungsdienst und später als Rettungsassistent auf einer Intensivstation tätig.“ Sie war erfolgreich im Job und, so formuliert sie es selbst, „ein weißer cis-Mann“, der mit seiner Frau eine Familie gründete. Dann aber folgte die Trennung des Paares, der Umzug nach Duisburg. „Ich habe meine Familie verloren“, fasst sie zusammen. Und dann kam auch noch der Burnout. Zumindest dachte sie das.

Bis in die Drogensucht

„Ich wusste schon immer, dass ich irgendwie anders war“, erzählt die 42-Jährige. Doch was dieses „anders sein“ bedeutete, konnte sie lange nicht begreifen. Ihr Vater war konservativ, „bei uns herrschte ein familiärer Druck“, erzählt sie. Dadurch blieb ihr kein Raum, sich mit ihrer eigenen Identität zu beschäftigen. Und auch nach der Trennung suchte sie zunächst „nur“ nach einer neuen Partnerin, nach einer neuen Familie. Wie sich die beiden kennengelernt haben? Die beiden schauen sich an, lächeln und sagen dann: „Auf Facebook.“ Genauer gesagt, in der Facebook-Gruppe „Singles mit Kindern“.

Tina, die ein Kind aus einer früheren Beziehung hatte, stieß auf das Profil von Isabelle, die damals noch anders hieß, und irgendwie ließ sie das Bild von dem Mann mit Ziegenbärtchen einfach nicht los... Sie lernten sich kennen und lieben, zogen schon bald zusammen, „ein halbes Jahr auf 28 Quadratmetern mit Hund und Kind“, erzählt Isabelle. Wer das schafft, schafft alles. Oder? Die beiden lachen. „Mittlerweile sind wir seit elf Jahren zusammen und seit sechs Jahren verheiratet“, sagt Tina. Dabei war es nicht immer einfach, ganz und gar nicht... Denn nach anderthalb Jahren stellte Isabelle fest, dass nicht der Burnout der Grund für ihre psychischen Probleme war, die sie für vier Jahre sogar in die Drogensucht getrieben hatten...

„Ich glaube, ich bin eine Frau“

Es kam wie „aus heiterem Himmel“, so beschreibt es Isabelle selbst. „Ich bin zu Tina gegangen und meinte: Ich glaube, ich bin eine Frau.“ Wie reagiert jemand auf das Outing des Partners, der eigentlich eine Partnerin ist? „Ich habe erstmal geweint“, antwortet Tina. Die beiden riefen beim Trans*-Notruf an, erzählten ihre Geschichte, ließen die Tränen laufen. Doch schnell wurde Tina klar: „Ich liebe den Menschen, nicht das Aussehen.“ Wie? Isabelle zwinkert ihr zu. Nee, Tina lacht und korrigiert sich dann: „Ich liebe dein Aussehen als Mann genauso wie dein Aussehen als Frau!“ Im Übrigen ist Tina bisexuell und hatte schon mal eine Beziehung zu einer Frau.

Isabelle (li.) und Tina Ongena haben sich nach dem Comingout noch einmal neu verliebt.
Isabelle (li.) und Tina Ongena haben sich nach dem Comingout noch einmal neu verliebt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Tina also blieb. Und für Isabelle begann ihr neues, anderes Leben. „Das hier“, sie zeigt ein Foto, auf dem sie noch kurze Haare, aber schon einen langen Rock trägt, „muss eine Woche später gewesen sein.“ Der schwarze Rock war ihr erstes Kleidungsstück, das sie sich nach ihrem Outing gekauft hatte. Zwei Wochen lang traute sie sich nur, in ihren „Frauenklamotten“ auf dem Hinterhof ihre Zigarette zu rauchen. Danach aber ging alles schnell. Sie erklärten ihrem Umfeld, dass sie Isabelle genannt werden möchte, obwohl in ihrem Pass – bis heute – noch der alte Name steht.

Selbstbestimmungsgesetz im November 2024

„Das ist für mich eine Protesthandlung“, erklärt Isabelle. Denn aktuell müssen trans* Personen noch zwei Gutachten einholen, die viele nicht nur als entwürdigend empfinden, sondern die auch langwierig und kostspielig sind. Erst mit dem Selbstbestimmungsgesetz, das am 12. April vom Bundestag beschlossen wurde und nun voraussichtlich im November 2024 in Kraft treten soll, lassen sich der Vorname und der Geschlechtseintrag wesentlich einfacher ändern. Bis es aber so weit ist, steht bei Isabelle eben noch der Deadname, so der Fachbegriff, im Personalausweis.

Isabelle zuckt mit den Schultern. „Wie viel Macht ich einem solchen Plastikkärtchen gebe, entscheide letztendlich ich“, sagt sie. Ja, das klingt selbstbewusst, und doch sind da auch immer wieder die Stiche, wenn sie jemand als Mann anspricht. Weil ihre Stimme so tief ist, weil ihre Größe von 1,85 Meter auffällt. Doch statt sich unter dunklen Klamotten zu verstecken, trägt sie lieber eine blümchenverzierte Bluse zu buntgemusterter Hose. „Wenn die Leute schon gucken, dann auch richtig“, sagt sie und lacht. Ihr Ziegenbärtchen hat sie längst abrasiert, „da habe ich nochmal geweint“, sagt Tina.

„Geschlecht findet zwischen den Ohren statt“

Nach einem Jahr bekam Isabelle entsprechende Hormone. „Hier“, sie zieht eine bunte Palette befüllt mit vielen Pillen hervor, „die muss ich seitdem nehmen.“ Dadurch ist der Bartwuchs weniger, die Brüste sind größer geworden. Eine Operation dagegen lehnt sie ab, weil ihr die Risiken zu groß sind. „Das macht mich auch nicht als Frau aus“, betont sie, „Geschlecht findet nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren statt.“ Das möchten die beiden auch ihrem Sohn mitgeben, der nun mit zwei Mamas aufwächst.

Mit elf Jahren kommt er langsam in das Alter, in dem er immer mehr Fragen stellt. Wenn Tina manchmal die Antworten fehlen, springt Isabelle ein. „Ich rede frei heraus“, sagt sie. So hat sie ihm damals, als er drei Jahre alt war und sich plötzlich schminken wollte, beispielsweise klar gemacht: „Du musst kein Mädchen sein, damit wir dich lieb haben.“ Das war vielleicht seine Art, die Situation zu verarbeiten. Mittlerweile aber kommt er gut damit zurecht, „er hat sogar vergessen, wie Isabelle früher hieß“, erzählt Tina, viel besser auf jeden Fall als andere Familienmitglieder.

Hoffnung auf Mutter-Mutter-Kind-Kur

Gruppe für trans* Menschen in Duisburg

Trans* Menschen und Angehörige treffen sich jeden ersten Samstag im Monat von 19 bis 22 Uhr im Klapphouse, Borkhofer Straße 47a in 47137 Duisburg.

Kontakt zu Isabelle Ongena: 0157/32653361 oder per E-Mail an info@freie-transmenschen-duisburg.de

Vielfalt in der Gesellschaft kann nur entstehen, wenn Akzeptanz herrscht“, betont Isabelle. Deshalb betreibt sie seit vielen Jahren Aufklärung, indem sie eine Selbsthilfegruppe gegründet und einen Trans*-Notruf ins Leben gerufen hat. Früher hat sie Menschenleben im Krankenhaus gerettet, heute hilft sie immer noch... aber nun eben trans* Personen in ihrem Alltag. Denn sie hat selbst erlebt, wie hart es sein kann – wenn der Schwiegervater einen nicht akzeptiert, wenn die Diskriminierung einen in die Arbeitslosigkeit treibt, wenn die Leute einen immer auf der Straße anstarren. Aber sie hat auch gelernt, damit umzugehen. Ja, es war für sie alle eine intensive Zeit, von der sie sich hoffentlich schon bald erholen können. Auf einer Mutter-Mutter-Kind-Kur.