Berlin. Experten warnen vor Psychopharmaka und fordern dafür mehr Gesprächstherapien. Patienten müssen bei Einnahme vieler Medikamente mit massiven Nebenwirkungen rechnen.
In der Europäischen Union erkranken laut der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) 27 Prozent der Menschen mindestens einmal im Laufe eines Jahres an Depressionen, Schizophrenie oder werden alkohol- und drogenabhängig, rund 40 Prozent von ihnen sind chronisch betroffen. „Die Tendenz ist steigend, was zum einen daran liegt, dass die Bevölkerung altert, zum anderen daran, dass die Schwelle zur Diagnose einer psychischen Erkrankung heute niedriger liegt als noch vor zehn Jahren“, sagt der Psychiater Stefan Weinmann.
Medikamenten-Studien durch Hersteller finanziert
Laut Weinmann sind zwischen 80 und 90 Prozent der Medikamenten-Studien durch die Hersteller finanziert. Unabhängige Untersuchungen könnten dagegen viele dieser Studienergebnisse nicht stützen. Daher sollte das Fundament einer guten Psychosenbehandlung ein «psychosoziales Behandlungsmodell sein, in dem Antipsychotika in der Regel selektiv und in niedrigen Dosierungen gegeben werden».
Auch der Arzt Bruno Müller-Oerlinghausen, Mitglied der Arzneimittelkommission, warnt vor den Medikamenten: "Es wird nicht nur das oftmals beträchtliche Risikopotenzial der verabreichten Psychopharmaka aus dem Auge verloren." Die möglicherweise zunehmenden psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter sowie bei Älteren, wiesen auch auf gesellschaftliche und therapeutische Defizite hin. Diese könnten und dürften nicht allein durch pharmakologische Behandlung gelöst werden.
Recht auf medikamentenfreien Behandlungsversuch
Die DGSP fordert die Einbeziehung von Patienten und Angehörigen in den Behandlungsprozess. Zudem müssen die Patienten über die Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Jeder Patient sollte auch im Krankenhaus das Recht auf einen medikamentenfreien Behandlungsversuch haben. Die DGSP ist eigenen Angaben zufolge ein unabhängiger berufsübergreifender Fachverband mit dem Ziel, die psychiatrische Versorgung zu humanisieren. (ap)