Essen. . Hinter Beschwerden wie immer wieder einschlafenden Händen oder Schmerzen kann ein Karpaltunnelsyndrom stecken, ausgelöst von einem anatomischen Engpass im Handgelenk. Mit einer Behandlung sollte nicht zu lange gewartet werden. Allerdings ist eine Operation auch nicht in jedem Fall ratsam.
Viele kleine Ameisen laufen nachts über Hand und Arm. Die ersten drei Finger werden immer wieder taub, teilweise schmerzt der ganze Arm. So beschreiben Menschen mit Karpaltunnelsyndrom (KTS) ihre Beschwerden.
Der Karpaltunnel ist eine Passage für Nerven und Sehnen, die vom Unterarm zur inneren Handfläche führt. Mit dabei: der Medianusnerv. Bei einem KTS wird dieser durch einen Engpass im Karpaltunnel gequetscht. Empfindungsstörungen an der Hand sind die Folge: Weil der Medianusnerv vor allem für die Empfindungsfähigkeit von Daumen, Zeige- und Mittelfinger zuständig ist, kommt es hier zu Taubheit und Kribbeln.
Bürokrankheit? Keineswegs!
Lange hielt sich die Annahme, das KTS sei eine Bürokrankheit. Viel Arbeit am Rechner würde das Syndrom auslösen. „Das ist aber nicht der Fall“, sagt Dr. Oliver Kastrup, Neurologe und leitender Oberarzt am Uniklinikum Essen. „In den seltensten Fällen wird das Karpaltunnelsyndrom durch den Beruf ausgelöst.“ Starke Belastungen, wie sie zum Beispiel Straßenbauarbeiter ausgesetzt sind, könnten das Handgelenk überlasten – nicht aber der Klick mit der Maus.
Damit es zum krankhaften Druck auf den Medianusnerv kommt, muss der Betroffene einen anatomischen Engpass im Karpaltunnel haben. „Dann gibt es Erkrankungen, die das Karpaltunnelsyndrom fördern, wie zum Beispiel Hormon- und Stoffwechselstörungen, die zu Schwellungen in diesem Bereich führen“, sagt Kastrup. In der Schwangerschaft könne durch Wassereinlagerungen ein KTS auftreten. Ein akutes Krankheitsbild hingegen zeigt sich, wenn zum Beispiel Ödeme und Blutungen auf den Nerv drücken.
Im Schlaf knickt häufig das Handgelenk weg
Ein leichtes KTS fällt durch das nächtliche Kribbeln und Einschlafen der Hände auf. Warum die Beschwerden nachts und am Morgen besonders auftreten, hat den einfachen Grund, dass man im Schlaf häufig das Handgelenk abknickt. „Die Patienten schütteln die Hände aus oder machen Greifbewegungen, dann bessern sich die Beschwerden häufig“, so der Neurologe. Um das Abknicken zu verhindern, kann der Arzt eine Stützschiene verordnen. Dadurch können Beschwerden gelindert werden – manchmal verschwinden sie sogar.
Studien zeigen, dass das Karpaltunnelsyndrom vor allem Frauen trifft, was sehr wahrscheinlich mit der hormonellen Lage zusammenhängt, und vor allem Menschen zwischen 40 und 70 Jahren. Die endgültige Diagnose kann nur ein Neurologe stellen. „Die Beschwerden sollte man ernst nehmen und sich untersuchen lassen“, so Kastrup. Wenn Taubheitsgefühle oder Ausfallerscheinungen dauerhaft bestehen oder Schmerzen mit einem Gefühl von „elektrischen Schlägen“ hinzukommen, sei dies ein Hinweis auf eine stärkere Schädigung des Medianusnervs.
Der Neurologe wird bei KTS-Verdacht die Hand in ihrer Funktion und ihren Reflexen untersuchen und die Nervenleitgeschwindigkeit messen (Neurographie). Bei einem KTS ist die Leitgeschwindigkeit des Medianusnervs herabgesetzt. „Die Qualität der Elektromessung ist allerdings sehr wichtig, damit es nicht zu einer Überdiagnosestellung kommt – das passiert häufiger beim Karpaltunnelsyndrom“, so Kastrup.
Nicht warten, bis der Nerv geschädigt wird
Die Behandlung hängt vom Schweregrad der Einengung ab. Wichtig sei es, nicht den Moment zu verpassen, an welchem der Nerv eine Schädigung davonträgt. Wenn die Beschwerden durch eine Reizung hervorgerufen werden, sei eine konservative Behandlung sinnvoll. Neben der Schiene zur Ruhigstellung empfiehlt der Mediziner die Injektion von Kortison oder Tabletten. Die Wirkung der Spritze könne Wochen bis Monate anhalten.
Die Entscheidung für oder gegen eine Operation hängt vom Leidensdruck ab, aber auch stark vom Schweregrad. Ist das KTS fortgeschritten (Beschwerden über zwei Monate), könne oder müsse eine OP Abhilfe schaffen, empfiehlt Kastrup. „Es gibt die offene Operation und die endoskopische – beide sind gleich gut wirksam.“ In beiden Fällen wird das Karpalband zwischen Daumen- und Kleinfingerballen durchtrennt, um eine Entlastung zu schaffen. „Bei etwa vier bis zehn Prozent der Patienten tritt das Syndrom nach einer Operation wieder auf.“ Die Ursachen hierfür seien vielfältig: „Nicht immer ist eine Operation gut verlaufen und manche Menschen neigen auch dazu, immer wieder Verdickungen zu bilden.“