Potsdam/Düsseldorf. Paare ohne Trauschein müssen die hohen Kosten für eine künstliche Befruchtung in den meisten Fällen bisher selbst tragen. Das sei ungerecht, befand eine Krankenkasse und klagte dagegen. Jetzt wird der Fall vor Gericht verhandelt. Auf ein positives Urteil hoffen auch viele Paare in NRW.

Ohne Trauschein gibt es kein Geld: Unver­heiratete Paare mit unerfülltem Kinderwunsch müssen die hohen Kosten für eine künstliche Befruchtung in der Regel selbst ­bezahlen. Die Gesetzlichen Krankenkassen und der Staat fördern bislang nur Ehepaare. Doch das könnte sich jetzt ändern.

Am Freitag entscheidet das ­Landessozialgericht in Potsdam über die Klage einer Kranken­kasse, die auch unverheiratete ­Paare unterstützen wollte – aber keine staatliche Erlaubnis dafür ­bekam.

Allein in Nordrhein-Westfalen hatten sich bereits weit über 100 Paare Hoffnungen gemacht, als Versicherte der BKK VBU Hilfe zu bekommen, bundesweit waren es rund 900. Sollte das Gericht der Kasse Recht geben, hätte das Urteil Signalwirkung für die Branche.

„Es wird Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden“

„Wir maßen uns nicht an zu entscheiden, wer gute oder schlechte Eltern sind“, sagt Kassenvorstand Andrea Galle. Die deutsche Geburtenrate ist im Keller – gleichzeitig hat sich die Lebenswirklichkeit vieler Eltern verändert. Immer mehr Kinder werden außerhalb der Ehe geboren: „Es wird Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden.“

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Die BKK VBU gehört mit 47.000 Mitgliedern allein in NRW zu den 30 größten gesetzlichen Krankenkassen. Die Zusatzleistung für Paare ohne Trauschein wäre zumindest so lange ein Wettbewerbsvorteil für die Kasse, bis auch andere nachzögen.

Bei Ehepaaren übernehmen die gesetzlichen Kassen derzeit 50 Prozent der Kosten für die ersten drei Behandlungszyklen, einzelne Kassen sogar deutlich mehr. Voraus­setzung ist in der Regel, dass die Frauen mindestens 25 und höchstens 40 Jahre alt sind, die Männer höchstens 50 Jahre. Seit April 2012 beteiligt sich zusätzlich der Bund an den Kosten der ersten vier Zyklen – aber nur, wenn auch das jeweilige Bundesland Geld zuschießt.

Das Wunschkind wird zur Einkommensfrage

Bei Behandlungskosten von mehreren tausend Euro pro Versuch bleiben Ehepaaren in solchen ­Fällen nur noch einige hundert Euro Eigenanteil. Unverheiratete müssen aber die Gesamtsumme allein tragen – das Wunschkind wird zur Einkommensfrage. BKK-Vorstand Galle findet das ungerecht: „Sie haben das gleiche Recht, Eltern zu werden, wie Verheiratete.“

Jedes zehnte Paar braucht nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums medizinische Hilfe bei der Erfüllung des Kinderwunsches. Insgesamt kommen derzeit rund 10.000 Kinder pro Jahr durch künstliche Befruchtung zur Welt. Doch viele Versuche bleiben auch ohne Erfolg: Bei einer Kinderwunschbehandlung per In-Vitro-Fertilisation etwa bleiben auch nach drei Zyklen mehr als die Hälfte aller Paare kinderlos.

Wohnort entscheidet über Kosten

Ausnahmen von der umstrittenen Trauschein-Regel gibt es dort, wo Regionalkassen allein unter Landesaufsicht stehen: Eine süddeutsche Betriebskrankenkasse zahlt auch für Unverheiratete. Die AOK Nordwest (Sitz in Dortmund) zahlt seit Anfang des Jahres auch für ­lesbische Frauen in eingetragenen Lebenspartnerschaften. Sachsen-Anhalt fördert aus Landesmitteln auch Unverheiratete.

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Doch selbst bei den Paaren mit Trauschein entscheidet in Deutschland der Wohnort darüber, wie hoch die Kostenübernahme ausfällt. Während die meisten öst­lichen Länder und auch Niedersachsen Ehepaare mit Kinderwunsch fördern, zahlt NRW nichts dazu. Das sei „eine Aufgabe der ­gesetzlichen Krankenkassen“, so das Familienministerium. Immerhin gebe es in NRW drei Kassen, die die Kosten im Rahmen der Zusatzleistungen komplett übernehmen – aber nur für Verheiratete.

Das Bundesgesundheitsministe­rium will das Urteil am Freitag ­abwarten: Sollte das Gericht die Zusatzleistung für Unverheiratete erlauben, könnte es eine neue ­Debatte über die Trauschein-Regel im Sozialgesetzbuch lostreten. „Grundsätzlich wäre eine Ausweitung der Leistungen verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen“, heißt es. Also: Ende offen.