Maastricht. . Die moderne Medizin ermöglicht vielen Paaren, doch noch eine Familie zu gründen. Aber nicht alle Frauen bekommen in Deutschland diese Chance. Einige sind daher zu ungewöhnlichen Schritten bereit und überschreiten Grenzen.
Ed Houbens Leben ist durchgetaktet. Es dreht sich oft um Eisprünge. Houben hockt auf seiner Couch. Der 43-Jährige ist kein Womanizer, eher der Bärchentyp – mit Schultern zum Anlehnen. Er rückt seine Brille zurecht. Das rote T-Shirt schlabbert über seinen enormen Bauch. Houben, studierter Historiker aus Maastricht, ist Vater von 92 Kindern. Fünf weitere sind gerade unterwegs, die 100 wird er dieses Jahr wohl knacken. Der Niederländer ist Samenspender.
Rund zwei Millionen Paare in Deutschland sind ungewollt kinderlos. Etliche von ihnen möchten ihr Schicksal nicht hinnehmen. Sie hoffen auf die moderne Medizin und sparen für eine künstliche Befruchtung. Andere fahren ins Ausland, da die Gesetze dort mehr erlauben. Doch wie weit sind sie bereit zu gehen, um sich ihren Wunsch vom eigenen Kind doch noch zu erfüllen?
Frauen, die nicht mehr weiterwissen, landen beispielsweise im Kinderwunschzentrum Dorsten. Hier berät die Frauenärztin und Reproduktionsmedizinerin Katharina Möller-Morlang die verzweifelten Paare und klärt die Ursachen für die Kinderlosigkeit ab. Dies kann medizinische Gründe haben, manchmal spielt auch das Alter eine Rolle. In den 60er-Jahren waren Frauen im Schnitt 23 Jahre alt, als sie ihr erstes Baby bekamen. Nun sind sie rund zehn Jahre später Mutter. Mit über 30 Jahren nimmt aber die Chance, unmittelbar schwanger zu werden, wieder ab.
Katharina Möller-Morlang verschreibt den Frauen zum Beispiel Hormontherapien und berät zum Thema künstliche Befruchtung. Ist der Partner zeugungsfähig, versucht man die Behandlung mit dem Sperma des leiblichen Vaters. Hilft das nicht, muss ein anderer Samenspender her. „Wir arbeiten mit verschiedenen Samenbanken zusammen und führen in unserer Praxis die Insemination durch“, beschreibt die Gynäkologin das Prozedere.
Die Kosten, oft mehrere hundert Euro, tragen viele Paare selbst. Nur bei den ersten drei Versuchen für eine künstliche Befruchtung gibt die Krankenkasse einen Zuschuss. Die Kosten für eine Samenspende müssen Paare immer alleine aufbringen. Manchmal scheitert der Kinderwunsch schlicht am Geld.
In Nordrhein-Westfalen können nur verheiratete Frauen und Männer eine Samenspende bekommen. Eine Richtlinie der Bundesärztekammer schreibt nämlich vor, dass Kinder in „stabilen“ Beziehungen aufwachsen sollen – und schließt deshalb eine Spende für homosexuelle Paare aus. Auch Single-Frauen, die zu lange auf den Richtigen gewartet haben, haben das Nachsehen. Viele von ihnen suchen deshalb im Internet nach einem Spender. In Foren wie www.samenspender.de bieten sich hunderte Männer an. So wie „klugerkopf“ aus Essen. Er ist 34 Jahre alt, hat studiert, ist sportlich. Haarfarbe: braun. Augenfarbe: blau. Er hört gerne Jazz- und Elektro-Musik, in seiner Freizeit treibt er Sport: „Ich suche eine Frau mit Kinderwunsch und freue mich auf einen angenehmen Kontakt.“ Der Platz ist knapp, um für sich zu werben.
Der Beginn seiner Samenspender-Karriere
Der Niederländer Ed Houben hat eine eigene Homepage gestaltet, auf der er sich vorstellt. Er ist leicht zu finden, preist sich nicht an, macht einen sympathischen Eindruck. Immer öfter bekommt Houben auch Besuch aus der Bundesrepublik.
„Als Teenager habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, Samen zu spenden”, sagt er. Im Bekanntenkreis gab es ein Paar, das unbedingt Nachwuchs wollte, aber keinen bekam. Vorher glaubte er noch, dass jeder Mensch, der nett zu Kindern ist, auch Kinder zeugen könne. Doch er lernte bald, dass dem nicht so ist. Später, mit 29, traf er dann auf ein lesbisches Pärchen und erinnerte sich an sein Vorhaben.
Er hatte keine Freundin, wollte helfen, wandte sich an eine Klinik und spendete. Genug für 25 Babys. Dann sollte Schluss sein, sagten die Mediziner. Doch Ed Houben ahnte, dass es noch viele Frauen gab, die einfach nicht schwanger wurden. Er recherchierte im Internet und las die Anzeigen von verzweifelten Frauen, die nach einem potenziellen Vater suchten. Ed war einfühlsam, schrieb den Inserentinnen lange Mails und bot sich an. Ganz ohne Geld, „nur um Frauen glücklich zu machen“, wie er sagt. Seine private Samenspender-Karriere begann.
Auch heute finden ihn die möglichen Mütter in einschlägigen Foren. Oder über seine Homepage. In einer Rubrik gibt er Auskunft über seinen Gesundheitszustand. HIV: negativ. Hepatitis: negativ. Chlamydien, also Bakterien, oder andere sexuell übertragbare Krankheiten: keine. Spermienqualität: hervorragend. Alle sechs Monate lässt er sich testen. Auch von den Frauen verlangt er Gesundheitsnachweise.
Meistens schreiben die Damen ihm eine E-Mail. Früher hat der Mann, der selbst fünf Geschwister hat, jede beantwortet. „Es ist auch eine Form von sanfter Erpressung, wenn dir jemand sagt, dass du seine letzte Hoffnung bist.“
Inzwischen ist er allerdings wählerischer. Auf Mails, die vor Rechtschreibfehlern strotzen, reagiert er nicht mehr. Zuerst tauschen sie Fotos aus, schauen, ob man sich sympathisch ist. In anschließenden Telefonaten mit einer Wunschmutter versucht er herauszufinden, warum sie unbedingt ein Kind will und ob sie gut für den Nachwuchs sorgen würde. Und intelligent sollte die Frau sein, das macht sie in seinen Augen attraktiver. Das ist wichtig, schließlich wollen mehr als die Hälfte bei der Samenspende lieber den ganzen Mann. „Niemand träumt von einem Prinz auf einem weißen Pferd, der mit einer Spritze kommt. Jeder normale Mensch möchte in so einem wichtigen Moment ein bisschen begehrt werden.”
„Nobel“ finden das seine Freunde
Freunde, Familie und sogar der Chef tolerieren sein „Hobby“, sagt Houben. „Nobel” fänden sie es, was ihr Freund tut.
Seine Wohnung sieht aus wie eine typische Junggesellen-Bude. Er hat extra ein Gästezimmer für den Damen-Besuch eingerichtet. Gedimmtes Licht und eine Girlande aus Plastik-Rosen sollen für Romantik sorgen. Ed kennt sich mit Frauenkörpern, Problemzonen und dem Zyklus bestens aus. Aber eigentlich hat er nicht viel Erfahrung mit dem anderen Geschlecht. Er hatte erst drei kürzere Beziehungen, bei den meisten Begegnungen dreht es sich eben um den Kinderwunsch. Und doch soll es beiden Spaß machen. „Man kann seinen Körper auf Dauer nicht belügen.”
Wenn die Frauen ihren Eisprung haben, schicken sie Ed eine Mail und er lädt sie zu sich nach Maastricht ein. Manchmal bekommt er jeden Tag Besuch. In der Regel kocht Ed mit den Damen, sie trinken etwas. Das ist entspannter und er fühlt sich nicht nur als „Lieferant”. Irgendwann kommen sie zur Sache. Bei der natürlichen Methode klappt es meist schneller. Mit der Spritze muss man es manchmal acht bis zehn Mal versuchen. Einige Frauen kommen jeden Monat wieder.
In den ersten Jahren bevorzugte Ed dennoch die Bechermethode. Das war auch juristisch einfacher. In den Niederlanden gilt ein Mann, der bei der Entstehung eines Kindes nicht im gleichen Zimmer ist, als Spender – nicht als Erzeuger. Seitdem sich die Frauen wünschen, mit ihm zu schlafen, ist es komplizierter.
Eine Frau aus Wuppertal erzählt
Houben macht keinen Vertrag mit den Müttern. Sie stellen keine Ansprüche, er stellt keine Fragen. Das ist der Deal. In Deutschland könnten die Frauen eigentlich Unterhalt für das Kind einklagen. Bisher hat es noch keine getan. Dafür stehe er zu seiner Verantwortung, sagt Ed Houben. Er werde seinen Söhnen und Töchtern Fragen beantworten, wenn sie irgendwann nach ihrem Vater forschen.
Die Älteren kommen bald in die Pubertät. Einmal im Jahr veranstaltet er ein Fest für alle seine Kinder. Etwa 30 treffen sich dann mit ihren Eltern bei ihm in Maastricht. Die Mütter tauschen Kontaktdaten aus, entdecken Gemeinsamkeiten bei den Geschwistern, die sich oft zum ersten Mal sehen. Die Kleinen sagen „Papa Ed” zu ihm. Zu Ostern war er mit drei Kindern im Freizeitpark. Sie hätten sich gefreut, ihn wiederzusehen, sagt Houben. Aber ein tränenreicher Abschied sei es dann doch nicht gewesen. Sie wüssten ja, dass sie sich irgendwann wiedertreffen. „Das sind keine traumatisierten Kinder“, meint Houben, „das sind glückliche Familien.”
Eine von ihnen wohnt in Wuppertal. Miriam Schneider* erinnert sich noch gut, wie sie sich ins Auto setzte, um Ed zu treffen. Die 29-Jährige ist seit über zehn Jahren mit einer Frau verheiratet, ihrer Jugendliebe. „Uns war damals schon klar, dass wir auf Nachwuchs nicht verzichten wollen”. Beim ersten Kind schauten sich die beiden noch im Freundeskreis um, ob sich ein passender Papa fand. Neun Monate später bekamen sie ihre erste Tochter. Doch als die Kleine älter wurde, mischte sich der Mann in die Erziehung ein. Das wollten die Frauen nicht. Aber sie wünschten sich unbedingt ein Geschwisterchen für ihre Tochter Ida* (9).
Beim zweiten Kind fiel die Wahl also auf Ed. Er war Miriams zweite Erfahrung mit Männern. „Ich hab nur einmal als Jugendliche mit einem Jungen geknutscht – das zählt nicht, da war ich betrunken. Aber ich hasse Männer nicht.” Sie wählte also die natürliche Methode. Ihre Frau war einverstanden, unter der Voraussetzung, dass sie ihr keine Details verrät.
„Ich war furchtbar aufgeregt, aber am Telefon hat Ed so nett geklungen und ich habe mich gefreut, ihn persönlich kennen zu lernen.” Als sie sich trafen, sei es schnell entspannt gewesen. An all die anderen Frauen, die auch schon bei ihm waren, dachte sie in diesem Moment nicht. „Wir haben uns lange unterhalten, haben viel gelacht. Die Zeugung lief dann professionell ab.” Am nächsten Morgen versuchten sie es noch mal, zur Sicherheit.
Das Ergebnis sitzt auf ihrem Schoß
Das Ergebnis sitzt nun fröhlich quietschend auf ihrem Schoß. Die Augen hat er von Miriam geerbt, die Kinnpartie von Ed. „Freunde und Bekannte wissen, dass Liam auch durch eine Samenspende entstanden ist. Die meisten freuen sich mit uns.” Im kommenden Jahr will Miriam mit Liam* zu Eds Kinderfest fahren. Sie freut sich, die anderen Mütter mit ihren Kindern kennen zu lernen. Wann sie Liam erklärt, dass Ed sein Papa ist, weiß sie noch nicht. „Ich denke, irgendwann wird er alt genug sein und dann weiß man, dass man es erzählen sollte.”
Eds Kinderschar wird indes immer größer. Was er tut, ist legal. Nirgendwo steht, wie viele Kinder man haben darf. Wie lange er noch spenden möchte? Er hat keine Zahl im Kopf, die er erreichen will. Bei der magischen 100 soll nicht Schluss sein. „Das würde ja bedeuten, dass das Leben Numero 3 mehr wert ist, als Leben Nummer 99.” Von 85 Jungen und Mädchen haben ihm die Eltern bisher Fotos geschickt. In einer Fotostrecke flackern sie, alphabetisch geordnet, über einen digitalen Bilderrahmen: Doris, Fynn, Hannah, Tom. Auch Liam grinst ihm entgegen. Alle zwei Sekunden wechseln die Gesichter. Es ist der einzige Moment, in dem er sich gönnt, stolz zu sein. „Eigentlich ist das Sache der Eltern. Sie erziehen die Kleinen. Aber an den Fotos sehe ich, dass ich etwas Gutes tue.” Es gibt noch viele, die er glücklich machen will. Und sollte er irgendwann wieder eine Freundin finden, dann ist auch er glücklich.
Ein Kind gehört zu seiner Familienplanung übrigens nicht unbedingt dazu.
*Name von der Redaktion geändert
Fakten zum Thema „Künstliche Befruchtung“
- Louise Joy Brown hieß das erste Baby, das 1978 mit Hilfe künstlicher Befruchtung in Großbritannien zur Welt kam. Vier Jahre später wurde das erste deutsche Retortenbaby geboren. Heute gibt es in Deutschland rund 130 Kinderwunsch-Kliniken.
- In anderen Staaten sind die Gesetze lockerer: Tschechien, USA, Niederlande, Belgien. . . Dort gibt es Eizellspenden, Eizellen werden untersucht und aussortiert, auch die Übertragung fremder Embryonen ist möglich sowie eine Leihmutterschaft.
- 782 Babys wurden 1982 in einer Petrischale in Deutschland gezeugt. Danach stieg die Zahl. Doch nach 2003 gab es einen großen Einbruch, weil das Gesetz geändert wurde. Bis dahin wurden vier Behandlungen komplett von der Krankenkasse übernommen, nun werden nur die ersten drei Versuche bezuschusst. Heute kommen durch künstliche Befruchtungen pro Jahr etwa 8000 Babys zur Welt.
- Familienministerin Kristina Schröder will mit zehn Millionen Euro die Kinderwunschbehandlungen bezuschussen. Allerdings gibt es nur Geld, wenn auch die Bundesländer Mittel bereitstellen. Zudem würden nicht alle Kinderlosen davon profitieren. Geld gäbe es nur für Frauen, die noch keine 40 Jahre alt und mit einem Mann verheiratet sind.