London. Demenz hat sich zu einer der großen Volkskrankheiten unserer Zeit entwickelt. Die Zahl der Betroffenen steigt rasant, vor allem in den Entwicklungsländern. Doch die Regierungen haben bisher wenig dagegen getan. Ob der G8-Gipfel in London das ändern kann, ist mehr als fraglich.

Alle vier Sekunden wird irgendwo auf der Welt bei einem Menschen Demenz diagnostiziert. Mindestens 35 Millionen Menschen - nach neuen Statistiken der internationalen Alzheimer-Gesellschaft sogar 44 Millionen Menschen - sind jetzt schon betroffen, davon 1,4 Millionen in Deutschland. Im Turnus von 20 Jahren verdoppelt sich die Zahl, bis 2050 sollen es 135 Millionen Demenz-Kranke sein.

"Es ist eine Krankheit, die Leben stiehlt, die Herzen bricht und Familien zerstört", sagte David Cameron am Mittwoch auf dem G8-Gipfel zur Demenz in London. Dort hatte der britische Premierminister Gesundheitspolitiker, Wissenschaftler und Vertreter der Pharma-Industrie aus allen Erdteilen zusammengerufen. Das Problem ist erkannt. Doch gebannt ist es längst nicht.

Demenz oft zu spät erkannt

Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Kampf gegen die Demenz vor allem ein Zeitproblem. Die Diagnose kommt bisher viel zu spät. Wenn beim Patienten Gedächtnisprobleme einsetzen und der Arzt die Diagnose stellt, sind bereits 20 Prozent der Gehirnzellen abgestorben. Die langsame Zersetzung des Hirns hat aber schon 15 Jahre vorher eingesetzt. "Es ist absolut entscheidend für die Forschung, dass sie in einem frühen Stadium ansetzt", sagt Professor Nick Fox, Leiter des Demenz-Forschungszentrums am Londoner University College.

Wissenschaftler in aller Welt versuchen, mit allen möglichen Methoden mehr Aufschlüsse über die noch immer rätselhafte Krankheit und ihre Entstehung zu bekommen. Dazu zählen Reihen-Aufnahmen im Kernspin-Tomographen und Bluttests. Bei allen Anstrengungen ist derzeit kaum einer so vermessen, eine Therapie für eine wirksame Heilung in Aussicht zu stellen.

Mehr als 600 Milliarden US-Dollar pro Jahr

Ein Medikament, das eine Verzögerung des Verlaufs bewirken könnte, wäre schon ein riesiger Erfolg. Es gibt einen gewissen Optimismus: "Ich glaube stark daran, dass wir in fünf Jahren gute Chancen auf ein oder zwei Wege haben werden, das Fortschreiten von Demenz zu hemmen, was natürlich eine Art Gütesiegel wäre", sagt Jan Lundberg vom Pharmakonzern Lilly.

Für die Politiker ist Demenz auch ein finanzielles Problem. Die weltweiten Kosten werden bereits auf mehr als 600 Milliarden US-Dollar (rund 440 Milliarden Euro) pro Jahr geschätzt. Großbritannien wolle seine Forschungsausgaben bis 2015 auf 80 Millionen Euro verdoppeln und danach noch einmal um die selbe Summe aufstocken, kündigte Cameron am Mittwoch (11. Dezember) an. Bei steigenden Patientenzahlen und längerer Lebensdauer wird Demenz allmählich auch zum Problem für die staatlichen Haushalte.

Rate steigt in Entwicklungsländern

Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft sieht vor allem in den Entwicklungsländern ein ungeahnt großes Problem heraufziehen. Die neuesten Statistiken berücksichtigen erstmals Zahlen aus China und Schwarzafrika - dort nehmen Experten erhebliche Steigerungsraten an. "Die Gesundheits- und Sozialsysteme dieser Länder sind bisher nicht auf die kommenden Herausforderungen hinsichtlich Diagnose, Behandlung, Pflege und Unterstützung der Familien vorbereitet", sagt die Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft, Heike von Lützau-Hohlbein.

Doch das sind auch die Industriestaaten nur bedingt. Patientenschützer beklagen, dass der Fokus viel zu sehr auf eine Heilung der Krankheit gelegt wird, obwohl eine "Pille" gegen Demenz derzeit nicht in Sicht sei. Den jetzt betroffenen Patienten nütze das nichts, sagt Eugen Brysch von der deutschen Stiftung Patientenschutz. Er fordert die Regierungen auf, bessere Betreuungssysteme einzuführen: "Wir brauchen Begleitung und Hilfe statt Ausgrenzung und Abschiebung." (dpa)