Essen. Seit Oktober bezahlen die Krankenkassen spezielle Tests für Über-70-Jährige. Ein Patient in Köln fühlte sich als dement abgestempelt, er ist nicht der einzige. Was steckt hinter dem Test, den die einen “Demenztest“ nennen, die anderen “hausärztlich-geriatrisches Basis-Assessment“?
Kann doch nicht so schwer sein: Auf Papier das Ziffernblatt einer Uhr grob aufzeichnen und dann angeben, wie die Zeiger stehen müssten um 10 nach 11? Der "Uhrentest" ist ein Verfahren, mit dem Ärzte untersuchen, ob ihr Patient noch geistig voll da ist. Der Uhrentest kann einen schlimmen Verdacht erhärten: Demenz. Und er kann als Unverschämtheit empfunden werden - so wie bei Karl-Heinz Haufe.
Der "Express" berichtete dieser Tage von dem Rentner aus Köln, der sauer auf seine Hausärztin ist. Sie habe ihm einen Demenztest untergeschoben, empörte sich der 78-Jährige. Die Arzthelferin habe ihm verschiedene Fragen gestellt - der Uhrentest war darunter -, ohne ihm zu sagen, worum es überhaupt geht. Und das ausgerechnet ihm, der Klavier spielt, den Haushalt schmeißt und von sich selber sagt: "Ich kann wirklich noch alles."
Beim Timed up & go wird die Beweglichkeit getestet
Demenztest - was steckt dahinter? Zum 1. Oktober haben die Kassen einige neue Positionen in ihre Gebührenordnung aufgenommen. Eine davon ist das "Hausärztlich-geriatrische Basis-Assessment". In fünf bis zehn Minuten testen die Ärzte oder ihre Mitarbeiter, wie beweglich ihr Patient in geistiger, aber auch in körperlicher Hinsicht noch ist. Der Uhrentest kann dazu gehören, ein Gespräch über die Lasten im Haushalt, oder das "Timed up & go" - bei dem geschaut wird, wie lange ein Patient braucht, um aufzustehen und loszugehen. Bei über 70-Jährigen bezahlt das alles nun die Kasse.
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Die Ärzte unterscheiden zwar in ihren Abrechnungen fein säuberlich zwischen diesem hausärztlich-geriatrischen Basis-Assessment (Ziffer 03360) und einem richtigen Demenz-Test (Ziffer 03242) - doch offenbar geben sich nicht alle große Mühe, diesen Unterschied auch den Patienten zu erklären. Bei Herrn Haufe kam jedenfalls an: Die gucken, ob ich dement bin. Und verdienen daran.
Ältere Damen beschwerten sich bei der Ärztevereinigung
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein berichtetete auf Nachfrage unserer Redaktion von "drei, vier Fällen", wo ältere Damen angerufen und sich über ungefragte Demenz-Tests beschwert hätten. Die Kassenärztliche Vereinigung im benachbarten Westfalen/Lippe hat nach eigener Aussage noch gar keine Beschwerden erhalten.
Die Vermutung liegt nahe, dass die Hausärzte den Test nun, da er eigens abgerechnet werden kann, öfter durchführen als früher. Ob diese Vermutung auch zutrifft, wird sich im kommenden Frühjahr zeigen: Dann haben die Kassenärztlichen Vereinigungen einen Überblick darüber, wie Ziffer 03360 in den Praxen so eingeschlagen ist.
Auch früher wurde so etwas schon untersucht
Rolf Granseyer ist Hausarzt in Dortmund. Er weist darauf hin, dass Hausärzte wie er natürlich auch in der Vergangenheit schon die geistigen Fähigkeiten von Patienten getestet hätten. "Den Uhrentest machen wir, wenn wir den Eindruck haben, dass jemand ein bisschen tüddelig ist." Es sei klar, dass man den Patienten dabei behutsam anspricht. Dazu gehöre, dass man nicht von "Demenz" spreche, sondern von "Vergesslichkeit". Ist es das, was dem Patienten aus Köln widerfuhr?
Dass er sich beschwerte, muss aber nichts schlechtes sein, findet Rolf Granseyer. Denn - und das ist keine Ferndiagnose vom Hausarzt aus Dortmund, eher eine allgemeine Feststellung: "Wer wirklich dement ist, beschwert sich nicht."