Homburg. Immer mehr Kinder sind von psychischen Leiden betroffen. Oft werden diese jedoch erst in der Schulzeit erkannt und behandelt. Nach Ansicht der Experten empfiehlt sich jedoch eine Behandlung im Vorschulalter. Professor Alexanter von Gontrad erläutert die Gründe.

ADHS, Angst oder Depressionen: Immer häufiger werden bei Kindern psychische Leiden entdeckt. Meist werden sie erst in der Schule zum ganz großen Problem. Nach Ansicht von Experten können sie aber schon viel früher behandelt werden. Über die Behandlung von psychischen Störungen bei Vorschulkindern sprach die Nachrichtenagentur dpa mit Professor Alexander von Gontard, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik des Saarlandes.

Bei Schulkindern werden immer häufiger psychische Störungen diagnostiziert. Wie viele Kinder unter sechs Jahren sind betroffen?

Alexander von Gontard: Nach vielen Studien haben etwa zehn Prozent der Vorschulkinder klinisch relevante psychische Störungen, also solche mit Beeinträchtigungen und hohem Leidensdruck. Das reicht von Essstörungen, exzessivem Schreien über post-traumatische Belastungsstörungen bis hin zu autistischen und ADHS-Störungen. Diese Rate ist genauso hoch wie bei Schulkindern und Jugendlichen.

Wo können sich verunsicherte Eltern Rat suchen?

von Gontard: Primärer Ansprechpartner ist der Kinderarzt. Erzieher oder Frühförderstellen sollten bei psychischen Auffälligkeiten vermehrt eine Vorstellung in der Psychiatrie anregen. Viele Eltern kommen aber auch von allein. Es gibt leider nicht viele Zentren in Deutschland, die auf die Behandlung von Vorschulkindern spezialisiert sind - wie an den Unikliniken in Homburg oder Leipzig. Das Angebot muss in Zukunft weiter wachsen.

Was ist bei der Therapie von kleinen Kinder besonders wichtig?

von Gontard: Der erste Schritt ist immer die Abklärung, ob man wirklich von einer Störung sprechen kann, die behandelt werden muss. In vielen Fällen reicht die Beratung aus. Dann gibt es Elterntraining, Elterninteraktionstraining und Elterngruppen. Ab dem Alter von vier Jahren kann man auch Einzeltherapien des Kindes durchführen. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist die Arbeit über die Eltern und mit den Eltern.

Wie sinnvoll ist eine Behandlung noch vor der Einschulung?

von Gontard: Je früher, desto besser. Entscheidend ist, früh zu schauen und früh zu intervenieren. Dadurch kann man viel Leid und viele sekundären Folgen verhindern.

Bei immer mehr Schulkindern in Deutschland wird ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) diagnostiziert und häufig Medikamente wie Ritalin ohne begleitende Psychotherapie gegeben. Tritt das Syndrom auch bei kleineren Kindern verstärkt auf?

von Gontard: Bei der ADHS-Diagnose muss man sehr vorsichtig sein. ADHS kann man allerfrühestens mit drei Jahren feststellen. Für kleine Kinder hat ADHS oft erhebliche soziale Konsequenzen, wie Problem mit Gleichaltrigen, Eltern und Erziehern oder Ausschluss vom Kindergarten. Bei der Behandlung muss an erster Stelle ein Eltern-Kind-Training stehen. Nur wenn dies nicht anspricht, das Kind erheblich beeinträchtigt und über vier Jahre ist, kommen Medikamente infrage. (dpa)