Essen. . Verlangen kann verschieden sein das kann zu Spannungen in einer Beziehung führen. Der Essener Sexualtherapeut Dr. Jörg Siegnerski-Krieger erklärt, wie Paare möglichem Frust begegnen können. Eine allgemeingültige Antwort hat er nicht.

„Wie viel Sex braucht der Mensch?“ Eine spannende Frage, die der Essener Sexualtherapeut Dr. Jörg Siegnerski-Krieger als Titel für eine Vortragsveranstaltung gewählt hat. Nur: Eine Antwort hat er nicht.

Viele Statistiken gibt es, ebenso viele Schlüsse resultieren daraus. Das Einzige, was man seriös ableiten darf: „Menschen sind in ihrem Sexualverhalten so verschieden, dass es keine allgemeingültige Antwort geben kann“, sagt Siegnerski-Krieger. „Jedes Paar muss einen individuellen Weg für seine Sexualität finden.“

So ist die Suche nach dem gemeinsamen Nenner schon für zwei Menschen nicht immer leicht: Mal schickt die Frau ihren Mann in Siegnerski-Kriegers Sprechstunde, weil sie ihm mit seinem täglichen Wunsch nach Sex ein Suchtverhalten attestiert. Dann wieder steht ein Paar ratlos da, weil ihm – trotz aller Kreativität – die Erektion versagt bleibt. Der Herr, der ein Vermögen für Pornos lässt, gibt sich die Klinke in die Hand mit der Frau, die gar kein Lustempfinden hat und damit zu den rund fünf Prozent der Bevölkerung zählt, die als asexuell gelten.

Die sexuelle Omnipotenz wird vorgelebt

Jeder für sich könnte mit seiner Weise leben, bekäme er nicht ständig sexuelle Omnipotenz vorgelebt. „Nehmen wir die H&M-Werbung mit Anna Nicole Smith in Unterwäsche“, sagt Siegnerski-Krieger. „In den 1970er-Jahren hätte das als Pornografie gegolten.“ 30 Jahre später kam es angesichts der Plakate immerhin noch zu Auffahrunfällen. „Heute würden wir das als selbstverständlich hinnehmen“. Großflächig plakatierte Pornografie, die Druck macht – und den Menschen die Lust verlieren lässt. Denn dass der Mensch immer weniger Sex hat, belegt eine Statistik der Hamburger Sexualambulanz. Fazit: Mit steigendem Stress und zu viel nackten Tatsachen sinkt die Lust.

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„Erotik funktioniert über die Fantasie. Und dazu gehört Neugier.“ Woraus sich auch erkläre, dass die meisten Menschen zu Beginn einer Beziehung nicht voneinander lassen können. „Man redet viel, erzählt aus seinem Leben, ist neugierig auf den anderen.“ Offen sein – in homöopathischen Dosen. Und so rät der Psychologe seinen Paaren, bei denen es nicht mehr erotisch knistert, sondern vor Lustlosigkeit kracht, zu Beginn einer Therapie oft zur Enthaltsamkeit.

Erst wird geredet, dann geküsst, später gestreichelt, ein Prozess über Monate, der irgendwann in Sex, in wieder erstarkter Potenz und Lustempfinden gipfeln kann. Obschon auch der Begriff Sex vage ist. „In Statistiken wird der sexuelle Akt zugrunde gelegt“, sagt der Therapeut. Fernab des Zwangs zum Zählmaß werten Menschen aber auch das individuell. „Lustvolles Beisammensein muss nicht immer im Verkehr gipfeln. Es ist auch nicht gesagt, dass eine Beziehung nur aus zwei Menschen bestehen kann.“

„Eine weitere Person kann für die Beziehung die Lösung sein“

Eine Erkenntnis, die für Paare in Siegnerski-Kriegers Sprechstunde bitter sein mag. „Eine weitere Person kann für die Beziehung die Lösung sein – vorausgesetzt alle können mit dieser Situation leben.“ Manchmal allerdings könnten Paare auch zu dem Schluss kommen, dass sie zwar in Teilbereichen gut harmonieren, aber sexuell so unterschiedliche Vorstellungen haben, dass sie besser auseinandergehen.

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Im Verborgenen schlummert vieles. Befragt Siegnerski-Krieger seine Paare im gemeinsamen Gespräch, lauten die Antworten häufig anders als unter vier Augen. Da bekundet die Frau, die sich nur im Moment der Penetration wirklich als Frau fühlt, mit der Erektionsstörung der besseren Hälfte leben zu können, gibt sich jedoch in der Einzelbefragung frustriert über diesen Zustand. Geredet wird darüber nicht offen.

Jeder zweite Mann hat sado-masochistische Fantasien

Ebenso über sado-masochistische Fantasien, die Männer deutlich häufiger haben als Frauen. Jeder zweite Mann, so besagt eine Berliner Studie, hat diese Fantasien, doch nur jede vierte Frau teilt diesen Wunsch zu Rollenspielen mit Macht und Unterwerfung. „Dabei haben viele Menschen etwa bei Fesselspielen, bei denen sie ausgeliefert sind, erst das Gefühl, sich völlig fallen lassen zu können.“

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Nicht alles lässt sich wegdiskutieren, nicht für jedes Problem lässt sich eine Lösung finden. Die Sehnsucht nach Lust und Gier aber nimmt nicht ab. Gerade jetzt im Frühling erwacht auch der Single aus seinem Winterschlaf. Hormonelle Gründe und Fortpflanzungstrieb, erklärt Siegnerski-Krieger, spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Viel simpler ist es. Im Frühling gibt es mehr Licht, womit die Serotonin-Ausschüttung (als Glückshormon bekannt) und damit das Bedürfnis nach Aktivität steigt und die Melatonin-Produktion (dies sorgt für ein Müdigkeits-Gefühl) sinkt.

Lust und Kommunikation als Schlüssel

Hinzu kommt, dass es wärmer wird. Die Röcke werden kürzer, T-Shirts spannen sich über pralle Bizeps, „und für diese Reize ist man gerade bei gesteigertem Aktivitätsbedürfnis empfänglich“. Womit alles wieder von vorn anfängt: Neugierig sein, den Partner entdecken, die Beute erlegen.

Lust und Kommunikation seien die Schlüssel. Und wenn es ganz gut läuft, „dann funktioniert auch nach Jahren die Kommunikation ohne Worte gut. Sex ist nämlich auch eine Form des Austauschs“. Auf welcher Ebene auch immer man sich etwas mitzuteilen hat.