Essen. Bund und Länder planen gravierende Änderungen bei der Ausbildung von Notfallsanitätern: Sie sollen künftig Eingriffe vornehmen dürfen, die derzeit nur Ärzten erlaubt sind, etwa das Anlegen von Venen-Kanülen oder Infusionen mit starken Medikamenten. Dafür soll ihre Ausbildung verlängert werden.
Zwölf Millionen Mal im Jahr wird der Notarztwagen gerufen. Jetzt planen Bund und Länder eine tiefgreifende Änderung im 112-Notrufsystem: Notfallsanitäter sollen künftig medizinische Eingriffe vornehmen dürfen, die heute nur speziell fortgebildeten Ärzten vorbehalten sind. Ärzteverbände halten das für „unverantwortlich“. Sie befürchten Gefahren für Patienten. Immerhin ist bei der Hälfte der Einsätze kein Arzt an Bord.
"Gefährlicher Dammbruch"
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird die Ausbildungszeit der heutigen Rettungsassistenten von zwei auf drei Jahre verlängert. Die Absolventen heißen dann Notfallsanitäter. „Der Entwurf erlaubt den Notfallsanitätern aber ausdrücklich invasive Maßnahmen“, sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften Notärzte Deutschland (Band), Frank Riebandt, unserer Zeitung. „Das sind Eingriffe, die direkt in den Körper hineinwirken.“ Dazu gehöre das Anlegen von Venen-Kanülen, das Einführen eines Beatmungsschlauchs in die Luftröhre und besonders Infusionen mit starken Medikamenten.
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Eingriffe in den Körper müssten Ärzten vorbehalten bleiben, die dafür acht Jahre ausgebildet seien, so Riebandt. Das sähen auch Gerichte so. Denn „Medikamente, die direkt über die Kanüle in den Kreislauf kommen“, wirkten „wie eine chemisch-pharmakologische Operation“. Mögliche schwere Nebenwirkungen wie innere Blutungen und Herzrhythmusstörungen seien von Nicht-Ärzten kaum einzuschätzen.
Von einem „gefährlichen Dammbruch“ spricht Thomas Lipp vom Hartmannbund. Ein Gesetz, das Qualifikationen aufweiche, irritiere, wenn man zugleich mehr Patientenschutz verlange. Der Berufsverband für den Rettungsdienst verteidigte dagegen die Neuregelung. Die heutige Praxis werde mit einer Rechtsgrundlage versehen. Tatsächlich dürfen Rettungsassistenten schon heute invasiv behandeln, wenn kein Arzt mitfährt – das aber nur bei akuter Lebensgefahr.
Zahl hat sich verdoppelt
Der Gesetzentwurf gilt im Kern als unumstritten. „Die längere Ausbildung begrüßen wir“, so Riebandt. Während sich aber Bund und Länder lediglich über die Aufteilung der Ausbildungskosten uneins seien, würde der medizinische Aspekt bei der Gesetzgebung zu wenig beachtet. Die Regierung begründet das Gesetz mit Ärztemangel und mehr Alarmierungen. Sie hätten sich seit 2005 verdoppelt. Über 90 Prozent der Alarmierungen erfolgen bei Krankheit oder Unfällen zu Hause.