London. Hörprothesen müssen künftig vielleicht nicht mehr aus externen Energiequellen gespeist werden. Das Innenohr selbst könnte den benötigten Strom liefern. Das haben Forscher des MIT herausgefunden. Allerdings wird der Weg dahin ein weiter sein.
Das Innenohr beherbergt eine Art Bio-Batterie, die künftig kleine Implantate oder Hörprothesen mit Energie versorgen könnte. Ein erster Schritt in diese Richtung ist US-Forschern jetzt gelungen: Sie haben mit Hilfe winziger Elektroden und speziell designter Chips erstmals die elektrische Spannung dieser Bio-Batterie bei Meerschweinchen angezapft und damit einen Mini-Sender betrieben.
Auf das Hörvermögen der Tiere hatte der Eingriff offenbar keinen Einfluss, berichtet das Team. Allerdings war die Leistung, die die Batterie erbrachte, noch sehr gering - für praktische Anwendungen müsse das System noch deutlich optimiert werden, betonen Patrick Mercier vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen. Dann allerdings könnte es beispielsweise zur Energieversorgung von Cochlea-Implantaten eingesetzt werden, die manchen Gehörlosen das Hören ermöglichen, schreiben die Forscher im Fachmagazin "Nature Biotechnology" (doi: 10.1038/nbt.2394).
Körpereigene Batterie für den Hörvorgang
Der Körper nutzt die Ohr-Batterie, um die Schallwellen im Innenohr in elektrische Nervenimpulse umzuwandeln. Sie besteht prinzipiell aus zwei Hohlräumen im Bereich der Hörschnecke, die mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten gefüllt und von einer Membran getrennt sind.
Die Konzentrationen geladener Teilchen in diesen beiden Flüssigkeiten - der Endolymphe und der Perilymphe - sind unterschiedlich. Deshalb streben sie danach, diesen Ladungsunterschied auszugleichen.
Als Folge bildet sich an der Membran eine elektrische Spannung von etwa 70 bis 100 Millivolt. Aufrechterhalten wird sie von spezialisierten Pump-Eiweißen, die in die Trennmembran eingelassen sind.
Will man diese Spannung nutzen, ist es von entscheidender Bedeutung, die anatomischen Strukturen nicht zu verletzen - zum einen, weil das den Hörvorgang beeinträchtigen würde und zum anderen, weil dann der elektrochemische Gradient nicht aufrechterhalten werden kann, wie die Forscher erläutern. Deswegen entschieden sie sich, für ihren Prototypen sehr dünne Glaselektroden zu verwenden, die sie durch natürliche Öffnungen in die beiden Flüssigkeitsreservoirs der Meerschweinchenohren einführten. Die Tiere wurden als Modell gewählt, weil ihr Innenohr dem des Menschen stark ähnelt.
Herausforderung durch extrem niedrige Spannungen
Obwohl die Spannung im Ohr zu den höchsten im Körper gehört, ist sie faktisch immer noch sehr niedrig, schreibt das Team. Daher schlossen die Wissenschaftler die beiden Elektroden an einen speziell für diesen Zweck entworfenen Chip an, der bereits mit sehr geringen Spannungen arbeitet.
Im aktuellen Test befand sich dieser Chip zwar außerhalb des Ohres, mit Abmessungen von neun mal elf Millimetern ist er jedoch klein genug, um später im Mittelohr platziert zu werden. Auf diese Weise konnten die Forscher fünf Stunden lang etwa ein Nanowatt Leistung aus der Ohr-Batterie gewinnen. Das reichte aus, um einen kleinen Sender zu betreiben, der im Radiowellenbereich sendete und dessen Signale in einer Entfernung von etwa einem Meter aufgefangen werden konnten.
Das zeige, dass sich die elektrische Energie aus dem Ohr prinzipiell für den Betrieb von kleinen Geräten nutzen lasse, resümieren die Forscher. Allerdings ist die Ausbeute aktuell noch so gering, dass selbst die sparsamsten Chips und Sender nicht mit der Ohr-Batterie alleine betrieben werden können. Sie brauchen eine weitere Energiequelle zur Unterstützung.
Wenn man aber das Design und damit die Effizienz von Elektroden und Chips weiter verbessere, sollte sich dieses Problem lösen lassen, meinen die Forscher.
Anwendungsmöglichkeiten vor allem bei Hörprothesen
Anwendungsmöglichkeiten sehen sie vor allem bei Hörprothesen wie den Cochlea-Implantaten, aber auch für andere Geräte oder Chips, die den Hörvorgang oder den Gleichgewichtssinn überwachen und verbessern.
Zudem seien die potenziellen Einsatzmöglichkeiten nicht auf das Ohr beschränkt, schreibt das Team: Auch Implantate im Temporallappen des Gehirns oder der Halsschlagader könnten mit der Ohr-Energie betrieben werden - um zum Beispiel zu messen, ob die Gehirnaktivität normal ist oder ob das Blut ungestört fließt. (dapd)