Berlin. . Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einer sozialen Phobie. Sozialphobiker nennt man die Menschen, die sich nicht in der Lage sehen, soziale Beziehungen einzugehen oder am sozialen Leben teilzunehmen. Selbsthilfegruppen und Therapien erleichtern oftmals den Weg aus der Einsamkeit.

Partys sind für Peter eine Qual. Die meiste Zeit verbringt der 23-Jährige zu Hause in seinem Hobbyraum. Auf andere Menschen geht er nur selten zu und wenn ihn jemand unerwartet anspricht, wird er schnell rot. "Wenn ich dann doch einmal auf eine Party gehe, sitze ich meist allein in einer Ecke und hoffe, dass die Feier bald zu Ende ist", berichtet er im Forum der Internetseite sozphobie.de. Peter leidet an Sozialer Phobie - der Angst oder Scham, auf andere Menschen zuzugehen und sich vor ihnen zu blamieren. Wie viele Menschen in Deutschland an dieser Angststörung erkrankt sind, können Experten nur schätzen. Annette Stefini vom Universitätsklinikum Heidelberg verweist auf Studien, wonach fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung die Kriterien für eine Soziale Phobie erfüllen.

Damit sei diese Störung eine der häufigsten Erkrankungen über die gesamte Lebensspanne, betont die Psychologin. Neue Studien, die Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 20 Jahren untersuchten, zeigten, dass mehr als jeder zehnte Jugendliche unter einer sozialen Phobie leide. Junge Frauen seien doppelt so häufig betroffen wie junge Männer. Gemeinsam ist allen Betroffenen, dass sie "überzeugt davon sind, dass ihr Auftreten oder sichtbare körperliche Symptome wie Erröten, Schwitzen oder Zittern von anderen Menschen als Versagen oder Blamage bewertet werden", sagt Stefini. Die Angstreaktionen seien häufig begleitet von körperlichen Symptomen wie intensives Herzklopfen, Übelkeit, Durchfall oder Muskelanspannung.

Zermürbende Gedanken

Johannes Peter Wolters kennt diese Symptome. Auch er bezeichnet sich als Sozialphobiker - und ist trotzdem seinen Weg gegangen, wie er sagt. Der 60-Jährige ist Mediziner und hat vor fünf Jahren den "Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie und Schüchternheit" gegründet. Rund 60 Selbsthilfegruppen erhalten durch den Verband verschiedenen Unterstützungsangebote. Die Gruppen sind ganz unterschiedlich: "Die einen treffen sich, um gemeinsam ins Kino oder spazieren zu gehen, und holen sich dadurch gegenseitig aus der Isolation, die anderen organisieren Vorträge, um sich über Therapien zu informieren, wieder andere gründen Gesprächskreise, in denen sie trainieren, wie sie Angst machende Situationen meisten können", zählt Wolters auf.

Die Geschichten der vielen Sozialphobiker, die Wolters im Laufe der Jahre kennengelernt hat, zeigten, dass die Angststörung in jedem Alter auftreten könne. "Manche durchleben die Soziale Phobie als Durchgangsstation, etwa während der Pubertät", sagt Wolters. Andere würden mitten im Berufsleben damit konfrontiert - wie er selbst. "Im Rückblick allerdings sehe ich mich schon im Kindergartenalter an vielen Stellen ängstlich", sagt der 60-Jährige. Erst später seien die für Soziale Phobie typischen, ständigen Selbstzweifel zu einem großen Problem geworden. "Was denken die anderen über mich? Habe ich mich wieder mal blamiert? War ich zu still? Solche Gedanken zermürben mit der Zeit."

Die vielen Gesichter der Sozialen Phobie 

Für Psychologin Stefini hat die Soziale Phobie viele Gesichter. "Ein Teil ist Veranlagung wie Schüchternheit, ein anderer Aspekt ist sicher das Lernen am Modell, denn sozial ängstliche Eltern geben das entsprechende Rollenbeispiel weiter", erklärt Stefini. Oft habe die Angststörung weitere gesundheitliche Probleme zur Folge wie Depressionen oder auch Alkohol- oder eine andere Suchtabhängigkeit.

Um nicht in diesen Strudel aus Selbstzweifel und Verunsicherung zu geraten, vermeiden Sozialphobiker Angst auslösende Situationen. "Das kann dazu führen, dass sich die Betroffenen aus sozialen Beziehungen zurückziehen, keine Partnerschaften eingehen oder beruflichen Anforderungssituationen aus dem Weg gehen", sagt Stefini.

Professionelle Hilfe ist der Expertin zufolge dann nötig, "wenn der Betroffene unter deutlichen Einschränkungen in seinem Leben leidet" - wenn ein Erwachsener aufgrund seiner Ängste bestimmte Anforderungen in seinem Beruf nicht erfüllen könne oder wenn ein Jugendlicher dadurch, dass er es nicht schaffe, Referate in der Schule zu halten, schlechte Noten bekomme und unter seinen eigentlichen Möglichkeiten bleibe.

Die Psychologin rät in solchen Fällen zu einer kognitiven Verhaltenstherapie oder einer psychodynamischen Psychotherapie. Häufig reiche schon eine 25-stündige Kurzzeittherapie aus, in manchen Fällen sei jedoch eine längere Behandlung notwendig. Eltern und Pädagogen rät Stefini, den Betroffenen zu helfen, sich der Angst auslösenden Situation zu stellen. "Ein Schüler sollte sein Referat durchaus halten müssen, aber er sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass er ein Problem hat und wo er Hilfe bekommt." Wolters wünscht sich, dass Betroffene nicht diskriminiert werden und ihr Potenzial genutzt wird. Sozialphobische Menschen seien kreativ und ausgesprochen sozial orientiert. (dapd)