Cambridge/Essen. Eine weltweite Studie könnte zum Durchbruch für Parkinson-Patienten führen: Computer-Algorithmen erkennen die Krankheit an einem Stimmtest. Dadurch könnten Ärzte sie in Zukunft diagnostizieren, bevor das Gehirn ernsthaft geschädigt ist. Wie das funktioniert, erklärt MIT-Forscher Max Little.
Tief einatmen und ein "ah" so lang ziehen, wie es geht. Das ist eine der Aufgaben, die ein Anrufer bei "Parkinson's Voice" zu erfüllen hat. Ziel des dreiminütigen, anonymen Anrufs: eine Stimm-Datenbank. Amerikanische Forscher haben Computer-Algorithmen entwickelt, die schon jetzt mit einer Trefferquote von 99 Prozent erkennen, ob ein Mensch an Parkinson erkrankt ist - aufgrund eines Zitterns oder einer Unregelmäßigkeit der Stimme.
Je mehr Stimmen aus aller Welt die Mediziner sammeln, desto weiter können sie das System verfeinern. Langfristig wollen sie ein Instrument zur Früherkennung der "Schüttellähmung" entwickeln. Einer der Wissenschaftler ist Max Little vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er erklärt die Idee, das Ziel und die Hoffnungen, die hinter "Parkinson's Voice" stecken.
Wenn alles so läuft, wie Sie hoffen: Inwiefern kann Ihr Projekt helfen, das Leben für Parkinson-Patienten zu verbessern?
Max Little: Wir können mit dem stimmbasierten Test ermitteln, wie schwer die Parkinson-Symtomen sind. Unsere langfristigen Absichten sind also: Erstens möchten wir die logistischen Schwierigkeiten für Patienten dadurch verringern, dass sie für Routine-Untersuchungen nicht in eine Klinik fahren müssen. Die wären dann über das Telefon möglich. Zweitens würden wir durch solche Telefontests sehr häufig und regelmäßig Messungen über den Fortschritt der Krankheit erhalten. Dadurch könnten wir Patienten gezielter beraten, wie sie Zeitpunkt und Dosis ihrer Medikamente richtig bestimmen.
Und welche Einblicke kann "Parkinson's Voice" der Wissenschaft ermöglichen?
Little: Ein Ziel ist es, kosteneffektiv viele Testpersonen für Versuche mit neuen Behandlungsmethoden zu finden – denn wir brauchen viele Muster für Versuchsreihen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die Beeinträchtigung der Stimme eines der ersten Anzeichen für Parkinson sein könnte. Das eröffnet uns die Möglichkeit, ein Instrument zu entwickeln, an dem sich große Gruppen testen lassen können.
Stimmtests können praktischen Umgang mit Parkinson erleichtern
Wie könnten solche Massentests helfen?
Little: Bislang gibt es keine Heilung für Parkinson. Das größte Problem bei dieser Krankheit ist, dass wir nicht wissen, welche Teile der Bevölkerung anfällig dafür sind, sie zu entwickeln. Das bedeutet, dass wir auch nicht wissen, wer als Testperson für Behandlungsmethoden in Frage kommt. Wenn es einen Test zur Früherkennung gäbe, könnten wir die Krankheit feststellen, bevor das Gehirn ernsthaft geschädigt wurde.
Warum ist es überhaupt sinnvoll, Parkinson anhand der Stimme zu diagnostizieren? Gibt es kein medizinisch eindeutigeres Vorgehen?
Little: Bei der momentanen Feststellung von Parkinson untersuchen wir zitternde Gliedmaßen – wenn der Tremor asymmetrisch ist. Typischerweise wird dann eine geringe Dosis L-Dopa verschrieben. Wenn das die Symptome verbessert, wird das üblicherweise als endgültige Bestätigung für die Parkinson-Diagnose betrachtet.
Das Problem an diesem Test ist: Er kann nicht aus der Ferne durchgeführt werden, der Patient muss zum Neurologen gehen. Daher kostet er rund 300 Dollar. Und natürlich dauert es oftmals eine gewisse Zeit, bis ein Ergebnis feststeht. Wir können genau diese Diagnose ausschließlich aufgrund von Stimmsignalen ebenfalls stellen. Das bedeutet, dass ein Test sehr schnell - in höchstens dreißig Sekunden - durchgeführt werden kann, und das sogar aus der Ferne, also sehr kostengünstig. Das macht vieles leichter im praktischen Umgang mit Parkinson – und in der Pflege.
Stimmtests erkennen Parkinson zu 99 Prozent
Wie sind Sie dazu gekommen, sich eingehend mit Parkinson zu beschäftigen?
Little: Ich habe mich für meinen Doktortitel in Oxford mit der Anwendung klinischer Stimmanalyse beschäftigt – also zum Beispiel damit, ob Stimmbehandlungen die Merkmale einer Stimme verbessern können. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass das nützlich für Parkinson sein könnte – bis zu einem zufälligen Treffen mit einem Forscher der Intel-Gruppe im Jahr 2006. Einer der Mitbegründer, Andy Grove, hatte gerade die Diagnose Parkinson bekommen, und ihm war klargeworden, dass es keinen objektiven Biomarker für Parkinson gibt (also keine messbaren körperlichen Indikatoren wie das Blutbild). Also haben sie versucht, eine Möglichkeit zu finden, die Symptome zu messen.
Und wie sind Sie dann darauf gestoßen, dass Computer-Algorithmen diese Symptome durch Stimmaufzeichnungen entdecken können?
Little: Die Forschergruppe hatte tausende Aufzeichnungen von Menschen, die an Parkinson erkrankt waren, und sie wussten absolut nichts damit anzufangen. Also schickten sie mir die Aufzeichnungen gesunder Menschen und die von Parkinson-Patienten. In einem Blindtest konnte ich die Proben der Erkrankten von den Kontroll-Aufnahmen der Gesunden auseinander sortieren – mit einer Trefferquote von rund 86 Prozent. Dafür habe ich die Verfahren benutzt, die ich in meiner Doktor-Zeit entwickelt habe. Daraufhin befanden wir, dass es die Sache wert wäre, weiter in die Tiefe zu gehen. Seither konnten wir die Algorithmen so verbessern, dass sie eine Trefferquote von 99 Prozent haben.
"Vielleicht die schnellste Parkinson-Studie aller Zeiten"
Wie erfolgreich ist "Parkinson's Voice" bisher?
Little: Äußerst erfolgreich. In weniger als zwei Monaten haben wir bereits 8000 Teilnehmer gewonnen. Vielleicht ist es die schnellste großangelegte Parkinson-Studie aller Zeiten. Als nächstes wollen wir ein ähnliches Projekt starten, um andere neurologische Krankheiten zu analysieren, zum Beispiel multiple Sklerose.
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Kann „Parkinson’s Voice“ die Diagnose eines Arztes ersetzen?
Little: Die Technologie ist sehr nützlich. Aber endgültige Entscheidungen über eine Behandlung sollten weiterhin die Mediziner treffen, die sich um die Patienten kümmern. Das Projekt wird medizinische Expertise also nicht ersetzen. Aber es ist ein kostengünstiges Werkzeug, um viele Menschen zu erreichen und das Klinikpersonal zu entlasten.
Bislang sind aus Deutschland nur die britischen, spanischen und französischen Telefonnummern erreichbar. Gibt es dennoch konkrete Pläne, das Projekt auf Deutschland zu erweitern?
Little: Wir haben Pläne für Deutschland, und bald könnte es so weit sein. Wann genau, hängt aber noch von den verfügbaren Mitteln ab.