Cambridge. . Amerikanische Forscher haben einen Wirkstoff gefunden, der die Spermienproduktion ohne Nebenwirkungen vorübergehend stoppt. Bis jetzt wurde die Substanz JQ1, die eigentlich als Krebsmedikament bekannt ist, nur bei Mäusen getestet. Das Medikament macht Hoffnung für eine “Pille für den Mann“.
US-Forscher haben einen neuen vielversprechenden Ansatz für eine "Pille für den Mann" gefunden: Eine Substanz namens JQ1 kann bei männlichen Mäusen Qualität und Menge der produzierten Spermien so stark beeinträchtigen, dass die Tiere unfruchtbar werden. Dieser Effekt ist vollständig reversibel: Wird die Einnahme des Mittels gestoppt, regeneriert sich die Fruchtbarkeit der Tiere wieder und sie können normalen, gesunden Nachwuchs zeugen.
Zwar eigne sich JQ1 noch nicht für klinische Studien mit menschlichen Probanden, sagt Studienleiter James Bradner vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Sein Wirkungsmechanismus sei jedoch eine hervorragende Basis für die Entwicklung eines Verhütungsmittels, das in Tablettenform eingenommen werden kann. Über ihre Arbeit berichten die Wissenschaftler im Fachjournal "Cell" (doi: 10.1016/j.cell.2012.06.045).
Vom Krebsmedikament zum Verhütungsmittel
Eigentlich ist JQ1- benannt nach Bradners Mitarbeiter Jun Qi, der den Wirkstoff entwickelt hat - ein potenzieller Kandidat für ein neuartiges Krebsmedikament: Es blockiert die Arbeit eines Proteins namens BRD4, das unter anderem an der Entstehung von Lungenkrebs und verschiedenen Blutkrebsarten beteiligt ist. Die BRD-Familie hat jedoch noch mehr Mitglieder, die in unterschiedlichen Körperregionen vorkommen.
Ein Verwandter von BRD4, BRDT genannt, spielt beispielsweise eine Schlüsselrolle beim Reifungsprozess von Spermien. Daher habe sich sehr schnell die Frage gestellt, ob JQ1 auch dieses Protein blockieren könne - und damit das Zeug zu einem neuartigen männlichen Verhütungsmittel habe, erzählt Bradner.
Um dies zu testen, injizierten die Forscher das Mittel zweimal täglich männlichen Mäusen. Nach ein bis zwei Monaten beobachteten die Forscher, dass die Hoden der Tiere schrumpften. Gleichzeitig nahmen die Anzahl und die Beweglichkeit ihrer Spermien drastisch ab. Die Hormonspiegel, das Allgemeinbefinden und das Verhalten der Tiere blieben hingegen völlig normal - sie paarten sich weiterhin, konnten aber keinen Nachwuchs zeugen.
Als die Forscher später das Medikament wieder absetzten, normalisierte sich die Zeugungsfähigkeit der Mäuse innerhalb von vier bis sechs Wochen wieder. Es habe keinerlei Hinweise auf eine reduzierte Fruchtbarkeit oder Folgen der Behandlung für die Nachkommen gegeben, berichtet Bradners Team.
Keine Veränderung des Hormonspiegels
Offenbar kann JQ1 problemlos die sogenannte Blut-Hoden-Schranke durchdringen, schlussfolgern die Forscher. Dieses Schutzsystem trennt den Blutkreislauf von dem Bereich im Hoden, in dem die Spermien reifen, und schützt diese so vor Krankheitserregern und Giften. An dieser Barriere seien viele der bisherigen Versuche gescheitert, ein Verhütungsmittel für den Mann zu entwickeln, erläutert Bradner. Ein weiterer Vorteil des neuen Wirkstoffs ist seiner Ansicht nach seine Unabhängigkeit von den komplexen hormonellen Kontrollmechanismen, die die Spermienproduktion steuern.
Die meisten bisherigen Ansätze hätten auf genau diese Regelkreise abgezielt, seien jedoch nicht erfolgreich gewesen. Da JQ1 aufgrund seiner völlig anderen Wirkungsweise nicht in den Hormonhaushalt eingreife, würden auch die typischen Nebenwirkungen einer Hormonbehandlung wie Depressionen, Verhaltensänderung und Ähnliches vermieden. Schließlich sei das Molekül auch klein und unempfindlich genug, um den Verdauungstrakt passieren zu können, ein Einsatz in Form einer Tablette sei also durchaus denkbar, sagt Bradner.
Allerdings wird es wohl niemals JQ1 in Pillenform geben: Für einen Einsatz bei gesunden Menschen müsse der Wirkstoff erst so verändert werden, dass er ausschließlich BRDT angreife und kein anderes Mitglied der BRD-Familie. Die aktuelle Studie habe jedoch gezeigt, dass BRDT ein lohnenswertes Ziel für ein männliches Verhütungsmittel sei - und da sich die Mensch- und die Mausvariante des Proteins stark gleichen, sollte sich das Konzept auf jeden Fall auf den Menschen übertragen lassen, meinen die Forscher. (dapd)