Boston. Neue Erkenntnisse in der Krebstherapie: Die medizinische Praxis, Tumore durch Sauerstoffentzug auszuhungern führt nach neusten Erkenntnissen zu einem erheblich größeren Risiko der Metastasenbildung
Bestimmte Formen der Krebstherapie machen den Tumor zwar kleiner, fördern aber die Bildung gefährlicher Metastasen. Als kontraproduktiv erweisen sich dabei sogenannte Angiogenesehemmer. Sie stören die Blutversorgung des Tumors und sollen den Krebs aushungern. Dabei zerstören sie jedoch auch bestimmte Zellen entlang der Blutgefäße im Tumor, die normalerweise verhindern, dass der Krebs sich ausbreitet.
Das haben US-amerikanische Forscher in Versuchen mit Mäusen und bei Untersuchungen von menschlichem Tumorgewebe herausgefunden. Durch die Gabe von Angiogenesehemmern seien Brustkrebstumore bei den Mäusen zwar um 30 Prozent geschrumpft, dafür habe sich aber die Rate der Metastasierung verdreifacht, berichten die Forscher im Fachmagazin "Cancer Cell".
Tumore brauchen Sauerstoff
Für ihr Wachstum sind Krebsgeschwulste auf eine ausreichende Sauerstoffversorgung über das Blut angewiesen. Die Tumore fördern daher gezielt das Wachstum neuer Adern in ihre Richtung. Einige neuere Krebsmedikamente wie Imatinib und Sunitinib verhindern dieses Gefäßwachstum und hungern so den Tumor aus.
Dies erreichen sie unter anderem dadurch, dass sie die Perizyten zerstören, wachstumsfördernde Zellen in der Wand der Blutgefäße. Diese Perizyten-Zellen hätten sich jetzt jedoch als wichtige Türhüter gegen eine Ausbreitung des Krebses mittels Metastasen erwiesen, sagen die Forscher. Verringere man die Anzahl der Perizyten in einem Tumor, mache dies den Krebs aggressiver.
Krebszellen werden mobiler
"Die Krebszellen reagieren darauf, indem sie ihr genetisches Überlebensprogramm anwerfen", sagt Studienleiter Raghu Kalluri von der Harvard Medical School in Boston. Der Mangel an Sauerstoff und die geringere Zahl von Perizyten löse einen Wandel in den Krebszellen aus, der sie mobiler mache. Dies habe sich sowohl bei Brustkrebs, als auch bei Haut- und Nierenkrebs in den Versuchen mit Mäusen gezeigt."
Auch beim Krebs ist nicht alles schwarz oder weiß", sagt Kalluri. Es gebe offensichtlich auch in Tumoren einige Zellen, die unter bestimmten Bedingungen nützlich seien. Der schützende Effekt der Perizyten zeigte sich auch, als die Forscher Tumorproben von 130 Brustkrebspatientinnen untersuchten. "Wir haben festgestellt, dass ein großer Tumor mit mehr Perizyten weniger Metastasen erzeugt als ein kleinerer Tumor mit wenigen Perizyten", sagt Kalluri.
Patientinnen, deren Tumorproben nur wenige Perizyten enthielten, hätten eine um 20 Prozent geringere Überlebenschance und mehr Metastasen gehabt als Patientinnen mit vielen Perizyten. "Diese provokativen Ergebnisse werden die klinischen Programme zur Tumor-Angiogenese beeinflussen", kommentiert Ronald A. DePinho, Präsident des Krebszentrums an der University of Texas. Möglicherweise müsse man die Herangehensweise bei vielen Krebsarten entsprechend anpassen.
Neue Ansätze in der Therapie
Einen ersten Ansatz, wie dies erreicht werden könnte, haben die Forscher bereits mit Mäusen getestet: Sie verabreichten den Tieren gemeinsam mit dem Angiogenesehemmer ein Mittel, das den sogenannten Met-Rezeptor in den Zellen blockierte. Diese Andockstelle gilt als entscheidend für die Umwandlung der Krebszellen in mobile Formen. Diese Blockade habe die Zunahme der Metastasierung durch die Angiogenesehemmer verhindert, sagen die Forscher. (dapd)