Essen. Der BUND schlägt Alarm. In jeder zweiten Probe von Hähnchenfleisch im Handel fanden die Tester Keime, die gegen Antibiotika resistent sind. DerWesten erklärt, was das bedeutet und welche Gesundheitsgefahren davon ausgehen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND hat mehr als Unappetitliches zu Tage gefördert: Hähnchenfleisch im Supermarkt ist offenbar stärker mit gefährlichen Keimen belastet als gedacht. Das Besorgniserregende daran: Bei den gefundenen Keimen handelt es sich im um Keime, die gegen Antibiotika resistent sind. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie hoch war die Belastung?
Der BUND untersuchte 20 Stichproben, die in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und im Raum Stuttgart gekauft wurden. Die Produkte stammten sowohl aus Discountern als auch aus Supermärkten. Die Keime fanden sich in jeder zweiten Stichprobe. Ähnlich bedenkliche Befunde ergaben auch Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung. Es untersuchte 2009 im Einzelhandel in 439 Proben die Keim-Belastung im Frischfleisch. Das Ergebnis: Fast jede vierte Probe enthielt Antibiotika resistente MRSA-Keime.
Was heißt Antibiotika-Resistenz?
Bakterien können gegen bestimmte Antibiotika unempfindlich sein. Diese Bakterien haben vielfältige Mechanismen entwickelt, um resistent gegenüber Antibiotika zu werden. Infektionen durch solche Bakterien sind schwieriger zu therapieren, weil herkömmliche Antibiotika nicht mehr helfen.
Welche resistenten Keime wurden im Hähnchenfleisch entdeckt?
Der BUND wies MRSA- und EBSL-Keime nach. MRSA steht für „methicillinresistente Staphylococcus aureus“. Der Keim gehört zum Bakterienstamm der Staphylokokken, die in der Umwelt weit verbreitet sind und auch beim Menschen vor allem im Nasen/Rachenraum vorkommen. Allerdings ist die Variante MRSA zum Teil unempfindlich gegen Antibiotika. Die ESBL-Keime sind Darmbakterien, die ebenfalls die Eigenschaft entwickelt haben, gegen viele herkömmliche Antibiotika resistent zu sein.
Geht von den Keimen im Fleisch eine Gesundheitsgefahr aus?
Gesunde Menschen mit einem intakten Immunsystem müssen sich beim Verzehr keine Gedanken machen. Gefährdet sind jedoch Menschen mit einem geschwächtem Immunsystem, Ältere oder chronisch Kranke. Beispielsweise kann es bei solchen Patienten nach Operationen zu Komplikationen bei der Wundheilung kommen. Mit Medikamenten sind solche Fälle sehr viel schwieriger zu behandeln. Im schlimmsten Fall kann es bis zur Blutvergiftung kommen. Laut EU-Parlament sterben jedes Jahr 25.000 Menschen in der EU an Infektionen, die durch resistente Keime verursacht wurden.
Wie kann man sich davor schützen?
Fleisch sollte immer gut durchgegart werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät, das Fleisch mindestens zwei Minuten lang auf mindestens 70 Grad zu erhitzen. Auch sollte das Fleisch vor der Verarbeitung unter fließendem Wasser gut abgewaschen werden. Dadurch sinkt die Keimbelastung. Nach dem Zubereiten des rohen Fleisches müssen Hände und Schneidbretter gründlich gespült werden. Weitere Tipps für die Küchenhygiene gibt das BfR auf seiner Internetseite.
Wie kommen die resistenten Keime ins Fleisch?
Der BUND macht dafür den massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung verantwortlich. Selbst gesunde Tiere bekämen Antibiotika, weil in der industriellen Tierhaltung in der Regel gleich ganze Tierbestände behandelt würden. Auch das BfR sieht diesen Zusammenhang: Je mehr Antibiotika in der Massentierhaltung eingesetzt werde, desto mehr resistente Keime überleben, heißt es dort.
Wie viel Antibiotika wird in der Landwirtschaft verwendet?
Das Verbraucherschutzministerium NRW hatte vergangenes Jahr von Februar bis Juni 182 Hähnchenmast-Betriebe in NRW darauf untersuchen lassen. In dieser Zeit wurden 96,4 Prozent der Tiere mit Antibiotika behandelt. Landesverbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) warf den Züchtern daraufhin vor, sie setzten die Medikamente zum Wachstumsdoping oder zum Gesundheitsdoping ein.
Warum wird das Antibiotika in der Massentierhaltung eingesetzt?
Der BUND sieht die Ursache in den Haltungsbedingungen der Tiere. Viele erkranken daran. Bekämen sie keine Antibiotika verabreicht, hielten sie in vielen Fällen nicht bis zum Schlachten durch. Auch der Preisdruck des Einzelhandels wird dafür verantwortlich gemacht.
Was sagen die betroffenen Unternehmen?
Eine Firma, in dessen Fleisch die Keime gefunden wurden, ist die Firma Wiesenhof. Sie hat sich gegenüber „Spiegel online“ geäußert. Demnach hätten deren Lieferanten den Einsatz von Antibiotika in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Der vorbeugende Einsatz von Antibiotika sei im Unternehmen zudem "strikt untersagt". Wiesenhof verzichte seit 1997 auf Antibiotika zur Steigerung des Masterfolgs. Wiesenhof verweist zudem darauf, dass Geflügel stets unbesorgt verzehrt werden könne, wenn der Verbraucher die Regeln der Küchenhygiene einhalte und das Fleisch vollständig durchgare.
Was will die Bundesregierung tun?
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner will den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft zurückdrängen. Dafür will sie das Arzneimittelgesetz ändern. Die Bundesländer sollen einen besseren Überblick über die Abgabe von Antibiotika erhalten. Unter anderem sollen Tierärzte verpflichtet werden, alle Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika auf Nachfrage zusammengefasst zu übermitteln. Damit solle die Überwachung deutlich erleichtert, Kontrollen vereinfacht und beschleunigt werden.
Wird das ausreichen?
Der BUND fordert unter anderem von den Handelsketten, mit Keimen belastetes Fleisch aus den Regalen zu verbannen. Von ihren Fleischlieferanten sollten die Händler verlangen, umgehend zu Tierhaltungsformen ohne Antibiotika-Missbrauch zu wechseln. Die Grünen werfen Aigner zudem nur kosmetische Änderungen am Gesetz vor. Sie verlangen eine lückenlose Dokumentation der Antibiotikavergabe in der Tierhaltung und schärfere Regeln bei der Antibiotika-Abgabe durch Tierärzte.
Quellen: BUND, Bundesinstitut für Risikobewertung, Landesamt für Natur- Umwelt- und Verbraucherschutz NRW, Gesundheitsamt Essen, Agenturmaterial