Berlin. Die Zahl der an Masern Erkrankten ist in diesem Jahr deutlich in die Höhe geschnellt. In den ersten zehn Monaten wurden doppelt so viele Infektionsfälle gezählt wie im gesamten Jahr 2010. Seit mindestens fünf Jahren gab es nicht so viele Masern-Fälle.
Bundesweit 1605 Masern-Fälle hat das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin seit Jahresbeginn bis Anfang November registriert. Das sind mehr als doppelt so viele Erkrankungen wie im gesamten Jahr 2010 (rund 800 Fälle). Damit dürften 2011 in Deutschland so viele Menschen an Masern erkrankt sein wie seit mindestens fünf Jahren nicht mehr.
Kinderärzte sprachen sich dafür aus, einen umfassenden Impfschutz bei Kindern zur Bedingung für den Besuch einer Kindertagesstätte zu machen. In Aschaffenburg ringt derzeit ein sechsjähriges Mädchen mit dem Tod, das infolge einer Masern-Infektion an einer Gehirnentzündung erkrankt ist. "Seit Jahren appellieren wir entsprechend an die Politik", erklärte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Wolfram Hartmann, am Dienstag auf dapd-Anfrage.
Ein verpflichtender Impfschutz müsse insbesondere für Kitas gelten, in denen auch unter Einjährige betreut würden, und insbesondere für Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragen würden. Erwachsene, die mit Kindern zu tun hätten, sollten ihren Impf-Status überprüfen, sagte Hartmann weiter.
Auch das Personal in medizinischen Einrichtungen müsse entsprechend geschützt, eine Impfung Einstellungsvoraussetzung sein. Er erinnerte an den Fall eines 26-jährigen Mannes, der im Frühjahr in einem Münchner Krankenhaus an Masern gestorben war und Mitpatienten sowie Teile des Pflegepersonals angesteckt hatte. Ließen Eltern ihre Kinder absichtlich nicht gegen Masern impfen, sei dies unterlassene Hilfeleistung.
Sogenannte Masern-Partys seien Kindesmisshandlung, betonte der Kinderarzt. Bei solchen Treffen bringen Eltern ihre Kinder mit erkrankten Altersgenossen zusammen. Ziel ist die Ansteckung und Immunisierung.
Besonders viele Fälle in Bayern und Baden-Württemberg
Besonders viele Masern-Patienten gab es in diesem Jahr in Baden-Württemberg (524 Fälle) und Bayern (437 Fälle). Zuletzt waren im Jahr 2006 rund 2.400 Masern-Fälle in Deutschland aufgetreten: In jenem Jahr hatte es eine größere Epidemie in Nordrhein-Westfalen gegeben.
Danach war die Zahl der Infektionen auf unter 1.000 pro Jahr gesunken. Nach Angaben des RKI hatten von den Kindern, die 2009 eingeschult wurden, 96,1 Prozent die erste Impfung gegen Masern erhalten, aber nur 90,2 Prozent die zweite. Weit unter dem Bundesdurchschnitt lagen vor allem bei der Zweitimpfung Bayern (85,8 Prozent) und Baden-Württemberg (87,7 Prozent).
Eine im Frühsommer veröffentlichte Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergab, dass die Mehrheit der Eltern Impfungen ihrer Kinder grundsätzlich positiv gegenübersteht, aber Vorbehalte gegen einzelne Impfungen hat. Gut ein Drittel (38 Prozent) stufte Masern als nicht gefährliche Erkrankung ein. Knapp 90 Prozent erklärten zugleich, Masern sei eine Krankheit, gegen die ihr Kind auf jeden Fall geimpft sein solle.
Impfung im zweiten Lebensjahr empfohlen
Ein Prozent der Eltern lehnte Impfungen grundsätzlich ab. Die Ständige Impfkommission (Stiko) am RKI empfiehlt zwei Masern-Impfungen im zweiten Lebensjahr. Dabei werden dem Kind abgeschwächte lebende Viren gespritzt, damit das Immunsystem Antikörper gegen die Viren entwickeln kann. In der Regel sei es Vergesslichkeit der Eltern, wenn Kinder keinen ausreichenden Impfschutz genössen, betonte der BVKJ- Präsident Hartmann.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich zum Ziel gesetzt, die Masern in Europa bis 2010 ausgerottet zu haben. Dazu hätten 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssen. (dapd)