Berlin. . Die Zahl gefälschter Medikamente hat in Deutschland zugenommen. Zehn Millionen nachgemachter Tabletten stellte der Zoll im vergangenen Jahr sicher – und das sei womöglich nur „die Spitze des Eisbergs“. Die Pillen sind mitunter lebensbedrohlich.

Vielleicht hat das Blau der Viagra-Tablette einen etwas anderen Ton. Vielleicht ist auch die Form leicht verzogen, oder es fehlen die Verpackungsfolien. Aber sonst? Kann ein Patient illegal produzierte Arzneien, die möglicherweise sein Leben bedrohen, von legalen und wirksamen unterscheiden? Eher nicht, sagen Zoll und Pharmabranche.

Europa wird von nachgemachten Medikamenten überflutet. Zehn Millionen Pillen wurden 2010 in Deutschland beschlagnahmt. Zwischen 1996 und 2008 wurden dagegen nur 40 Fälle von Medikamentenfälschung aufgedeckt. Die Fahnder haben gut zu tun, und „wir finden leider nicht alles, vielleicht nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Wolfgang Schmitz vom Kölner Zollkriminalamt.

Gerade wurde die Operation „Pangea“ abgeschlossen, bei der riesige Mengen Lifestyle-Präparate auch auf dem Frankfurter Flughafen sichergestellt wurden. Jetzt läuft der bundesweite Einsatz „Männerapotheke“, der sich gegen Kopierer des Potenzmittels Viagra richtet, für das der Hersteller Pfizer die Rechte hat.

Medikamente mit der Droge Speed versetzt

Der Trend hat die Pharmakonzerne aufgeschreckt. Sie verstärken ihre Sicherheitsabteilungen, weil sie das Fälscherproblem als gravierend erkannt haben. Pfizer hat weltweit 70 Leute im Einsatz. Denn kriminelle Organisationen machen mit den illegalen Produkten inzwischen mehr Gewinn als mit Rauschgift. Eine Tablette wird in Asien für 25 Cent produziert, vier davon werden übers Internet für bis zu 70 Euro verkauft. Zwischenhändler, die Internetseiten betreiben, arbeiten mit hohen Provisionen.

Alarmierend ist: Die Medikamente, die gegenüber den Originalen von den Banden preisreduziert und entgegen den Vorschriften rezeptfrei angeboten werden, enthalten entweder keine, zu starke oder völlig andere Wirkstoffe. Und teilweise sind sie mit hochgiftigen Chemikalien wie Borsäure oder Bohnerwachs versetzt oder mit der Droge Speed gefüllt. Leben ist bedroht.

Im Netz werden nach einer meist in Spam-Mails laufenden Werbung neben nachgemachten Potenz- und Schlankheitsmitteln zudem immer häufiger gefälschte Arzneien angeboten, die vermeintlich gegen Krebs, Aids, hohes Cholesterin, Alzheimer, Bluthochdruck und Rheuma sowie gegen Depressionen helfen.

Finger weg von windigen Bestellungen im Internet

„Gehen Sie zum Arzt, wenn Sie Nebenwirkungen spüren“, rät deshalb der Sicherheitsbeauftragte des Pfizer-Konzerns, Hans-Joachim Mill, den Patienten, die sich auf dem Internet-Weg solche Produkte beschafft haben. Grundsätzlich sollten Kunden die Finger von Bestellungen im Internet lassen, wenn dort normalerweise rezeptpflichtige Medikamente rezeptfrei angeboten würden. Medikamente aus Apotheken, wo bisher nur vereinzelt Fälschungen auftauchten, seien ohnehin sicherer.

Zwar wird die Mehrzahl der gefälschten Medikamente, deren Umsatz von der Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit auf über 75 Milliarden Euro geschätzt wird, meist in China und Indien unter hygienisch katastrophalen Bedingungen produziert. Deutsche Zollfahnder sehen aber eine „zunehmende Tendenz“, dass geschmuggelte Grundstoffe aus Asien in Fabriken auch in Deutschland zu Endprodukten hergestellt werden, die dann im Internet angeboten werden. Vor wenigen Monaten ließ der Zoll die bisher größte deutsche Herstellung im hessischen Nidda hochgehen, bestätigt ZKA-Sprecher Schmitz. Auch mehrere kleine Herstellungsanlagen sind schon aufgeflogen.