Essen. . War es die Gurke oder doch die Sprosse? In Berlin suchen die Behörden nach der Quelle des Erregers. In Essen, im Labor von Frau Dr. Evelyn Heintschel von Heinegg, suchen die Fachleute fieberhaft den Ehec-Erreger selbst. Probe um Probe.
War es die Gurke oder doch die Sprosse? In Berlin suchen die Behörden nach der Quelle des Erregers. In Essen, im Labor von Frau Dr. Evelyn Heintschel von Heinegg, suchen die Fachleute fieberhaft den Ehec-Erreger selbst. Wie Detektive sind sie ihm auf den Fersen und schnappen ihn auf der Petri-Schale: „Hier, das, was so bläulich schimmert, das ist er“, ruft Frau Heintschel von Heinegg, die stellvertretende Direktorin des Instituts für Mikrobiologie der Uniklinik Essen.
65 Stuhlproben aus der Klinik von Menschen mit Durchfall-Erkrankungen werden hier verarbeitet. Täglich. „Es ist wie im Krieg“, sagt der Leiter der Abteilung, Prof. Jan Buer. „Rund zwanzig Proben mehr als sonst sind es jetzt, aber der Aufwand, der betrieben wird, ist erheblich größer“, so Heintschel von Heinegg. Auch kommen noch auswärtige Proben dazu.
In diesem Labor herrscht seit Anfang Mai der Ausnahmezustand. Das Personal wurde verdoppelt und ist dennoch kaum zu Hause. Tag und Nacht im Laborkittel. Alle arbeiten bis zur Erschöpfung.
Die Stuhlproben stapeln sich im Labor Varia II. Wie einstudiert bewegen sich die Frauen, schieben Proben von links nach rechts. Medizinisch-Technische Angestellte, die auf Ehec-Infektionen spezialisiert sind, lassen Pipetten in Proben fahren, dokumentieren Testreihen.
Probe 3323
Wie Sabine Bollen. Sie sitzt vor ihrem Spezialarbeitsplatz, der „Werkbank“: die Hände, in Gummihandschuhen, hantieren mit Watte- und langstieligen Plastikstäbchen hinter einer halbhohen Glasscheibe. Gläschenweise greift sie Stuhlproben ab. Von oben sorgt ein Abzug dafür, dass das Zuviel an Keimen abgesaugt – und der Geruch neutralisiert wird. Frau Bollen bearbeitet soeben die Probe 3323. Etwa drei bis vier Tage braucht es, bis sie die fünf verschiedenen Tests durchgeführt haben wird. Erst dann herrscht Gewissheit, ob der Patient ernsthaft krank ist.
Sabine Bollen greift von Petrischale zu Petrischale. Alles unterschiedliche Nährböden, die allesamt den Ehec-Keim HUSEC 041 sprießen lassen, wenn er denn vorhanden ist. Mancher Nährboden wird hier noch selbst gekocht. Das mag – wie bei der Bouillon – nach Kräuterküche klingen doch in einem riesigen Hightech-Labor hinkt so ein Vergleich natürlich. Hier, wo die Räume von Hochleistungs-Maschinen beherrscht werden, verliert der Laie komplett den Überblick. Ihm hätte der Schnelltest gereicht. Doch der sei zu grob. Der könnte negativ sein – und trotzdem wäre der Mensch schwer krank.
Kein Husch-Husch
Kein Husch-Husch also, kein Schnellverfahren – der Keim fordert den Menschen ganz. „Klar, bin ich kaputt“, sagt Anja Maleikat. Der Beruf, ihre Tochter, Gott sei Dank gebe es den Betriebskindergarten, sonst ging das gar nicht. Aus Halbtags- wurde Vollzeitjob.
Der kleine Aufzug steht kaum still. Immer wieder werden neue Proben angeliefert. Die meisten aus dem Uniklinikum. Doch sie kommen auch von anderen Kliniken oder niedergelassenen Ärzten. Die meisten Proben melden Fehlalarm. Andere wiederum zeigen zwar kein Ehec, aber dafür andere Keime. Shigellen, Salmonellen, Yersinien – auch gefährliche Durchfallerkrankungen. Doch Ehec sticht sie alle aus. „Vor allem wegen der Hochresistenz gegen Antibiotika“, so Heintschel von Heinegg. Also, dass Medikamente nicht mehr wirken.
Alles auf Hochtouren
Auch die Resistenz wird erforscht in Essen, wo man alles probiert, um doch noch ein Mittel zu finden, das wirkt. Gleichfalls wird nach Impfstoff gesucht. Im Moment testet man das in einem der benachbarten Labore, an Mäusen. Doch wenn es überhaupt was geben soll, dann dauere es noch Jahre.
Essen forscht nach einem Mittel, das eine Eigenschaft des Ehec-Keims bremsen kann: Der Keim bildet ein Gift, das zu den lebensbedrohlichen Erkrankungen führt. Dieses Toxin versucht man zu neutralisieren. Alles auf Hochtouren, sagt Frau Heintschel von Heinegg. Dass keiner klage, liege auch daran, dass hier jeder so arbeitet, „als ginge es um unsere eigene Probe“, sagt die Mikrobiologin.