Berlin. .
Schmerzmittel, Hustensaft und Co. werden heute deutlich seltener eingenommen als noch vor sechs Jahren. Denn Patienten müssen seitdem rezeptfreie Medikamente selbst bezahlen. Die Pharmaindustrie beklagt daher einen Umsatzrückgang in Millionenhöhe.
Patienten nehmen weniger rezeptfreie Arzneimittel, seit sie diese selbst bezahlen müssen. Dies meldete der Bundesverband der Arzneimittelhersteller in Berlin. Nach dem Ausschluss der frei verkäuflichen Medikamente aus der Erstattung der Krankenkassen 2004 sackte der Umsatz demnach um 100 Millionen Packungen ab. Seitdem schwindet er weiter. Es geht um Medikamente, die sich jeder ohne ärztliche Verordnung in der Apotheke kaufen kann, weil vergleichsweise geringe Risiken damit verbunden sind - also zum Beispiel Hustensaft, Schmerzmittel oder auch Tabletten gegen Allergien. Die frei verkäuflichen, die sogenannten OTC-Präparate, werden von der Kasse mit der Begründung nicht mehr bezahlt, sie seien nicht lebensnotwendig.
Millionenschwere Einbußen
Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres verringerte sich der Umsatz mit rezeptfreien Arzneimitteln auf einem sogenannten Grünen Rezept - das stellt der Arzt aus und der Patient zahlt aus eigener Tasche - um 3,9 Prozent auf 972 Millionen Euro, wie der BAH mitteilte. Der Umsatz mit Selbstmedikation - der Patient kauft sich Arzneien ohne Rücksprache mit dem Arzt - sank um 1,2 Prozent auf 3,52 Milliarden Euro. Gut zehn Prozent Wachstum auf 493 Millionen Euro verzeichnete aber der Versand rezeptfreier Arzneien.
Somit hätten sich die Hoffnungen der Pharmabranche nicht erfüllt, sagt Gesundheitsökonom Uwe May. Nach dem Ausschluss der OTC-Präparate 2004 hätten Marktforscher erwartet, dass die Patienten die nicht mehr von der Kasse übernommenen Mittel selbst kaufen würden. „Das war mitnichten der Fall“, beklagte May. Hintergrund sei unter anderem eine „Stigmatisierung dieser Kategorie“. Die Patienten nähmen an, die Mittel seien überflüssig, da sie die Kasse nicht mehr zahle. Somit steckten die rezeptfreien Mittel in der „Imagekrise“. Ins Gewicht fielen auch die schwindende Kaufkraft vieler Bürger und saisonale Effekte, etwa das Ausbleiben einer Erkältungswelle. Im vergangenen Jahr bescherten Erkältungen den Herstellern aber gerade im Segment der Husten- und Erkältungsmittel einen Zuwachs um drei Prozent. Auch Mittel zur Behandlung der Haut, Schleimhäute und zur Wundversorgung legten um zwei Prozent zu.
Zwölf Prozent weniger Herz-Kreislauf-Mittel
Andere Kategorien von rezeptfreien Arzneien verloren dagegen teils kräftig. Der Umsatz mit Vitaminpräparaten sank um sieben Prozent, bei Beruhigungs- und Schlafmitteln sowie Stimmungsaufhellern war der Rückgang ebenso groß. Bei rezeptfreien Herz- und Kreislaufmitteln sackte der Umsatz sogar um zwölf Prozent ab.
Die Praxis, Arzneien für rezeptfrei zu erklären, sei in Deutschland besonders liberal, lobte May. So seien hier mehr Schmerzmittel frei verkäuflich als etwa in Großbritannien, Frankreich, Japan oder den USA. Das Grüne Rezept sei ebenfalls ein Erfolg, fügte der Verbandsfachmann an.
Nach seinen Worten hat die Pharmaindustrie Ärzten 15 Millionen Rezeptformulare kostenfrei zur Verfügung gestellt. Denn erst die Empfehlung des Arztes gebe den rezeptfreien Mitteln den „Stempel der Wirksamkeit“: „Die ärztliche Empfehlung adelt dieses Präparat natürlich.“ (dapd)