Essen. Schminken bei Krebs ist mehr als Anmalen – es hilft vor allem, neuen Lebensmut aufzubauen.
Es liegt Parfum in der Luft. Ein Hauch nur, aber im im Krankenhaus ist er eben nicht wirklich zu erwarten. Es ist nicht viel los, jetzt zur Mittagszeit. Ein paar Frauen in Bademänteln sind auf dem Flur zu sehen. So leisen treten sie auf, als wären sie gar nicht da. Auch ihre Gesichter verschwinden fast. Sie sind so hell, hell wie die Wand.
Frau Nick (75, roter Bademantel) ist auf dem Weg Richtung Duft. Frau Klomberg hat diesen floralen Mix in einen dieser Krankenhausräume gegeben. Dagmar Klomberg ist Kosmetikerin, seit über dreißg Jahren schon. Jetzt tupft sie ehrenamtlich Glanzlichter in schwer kranke Frauengesichter; heute im Evangelischen Krankenhaus in Essen-Werden. Dass sie mehr Therapeutin ist als nur fürs Dekorative zuständig? Psychologen sehen das allemal so.
Frau Nicks Augen sind blassblau. Sie sehen so aus, als hätten sie in letzter Zeit nicht viel zu lachen gehabt. Aber sie schauen auch so, als könnten sie sich vorstellen, heute einmal zu vergessen, was es heißt, wenn die Chemotherapie den Körper in ihre Klauen nimmt. Vergessen, dass die Haut mal ganz dünn, mal ganz aufgedunsen ist. Vergessen, dieses Grau des Gesichts, dieses Schwarz der Augenränder. Bei all diese bösen Ikonen der Lebensbedrohung, wie wohltuend klingen da Dagmar Klombergs Worte: „Nehmen Sie diesen Puder. Machen Sie sich schön. Ich helfe Ihnen dabei.” Frau Nick lacht.
Kosmetik bei Krebs ist mehr als Anmalen
Kosmetik bei Krebs ist mehr als Anmalen. Klomberg: „Es ist die Kunst, Augenbrauen nachzuziehen, die nicht mehr da sind.” Weil die Chemotherapie die Haare raubte. Es ist die Kunst, Augen so zu schminken, dass man die Wimpern, die herausfielen, nicht wirklich vermisst.
Rita Koch (57) leidet genau wie Margarete Nick unter Lymphdrüsenkrebs. Eigentlich sollen hier viel mehr Frauen sein. Doch sie fühlten sich heute nicht gut. Frau Koch hat sich aufgerafft. Und Zeit hat sie auch. Schließlich wartet sie auf eine Fremdspende. Stammzellen hat sie schon bekommen. Chemo, Bestrahlung. Noch ist ihr Gesicht aschgrau. „Man fühlt sich, ach lassen wir das.”
Doch für Tränen ist keine Zeit mehr. Jetzt nimmt sie das sonnengelbe Schmink-Täschchen in Angriff. Feinste Puder, edelste Lippenstifte, plüschige Pinselchen warten darauf, ihre Zeichen zu setzen. Dass die Taschen von der Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) gestellt sind, klingt ernst, aber darüber setzt man sich („Ich will lieber Flüssig-Rouge statt Puder”) hinweg.
In Akutkliniken wie Brustzentren
Deutschlandweit sind die Damen der DKMS unterwegs, an 185 Standorten. In Akutkliniken und Reha-Kliniken. Praxen und Brustzentren. Die Schminke wird gestellt; von Chanel, Clinique, Estée Lauder undsoweiter.
Stefanie Weingärtner, Psychologin und Organisatorin der Seminare, spricht vom Wunsch der Krebskranken, trotz allem „attraktiv und hübsch auszusehen”. Es gibt Gesprächstherapie, Maltherapie, Verhaltenstherapie, Anti-Depressiva. Alle haben ihre Berechtigung. Doch keine wirkt so direkt wie dieses Rezept: „Wenn ihr einen schlechten Tag habt, dann schminkt euch erst recht”, so rät Frau Weingärtner.
Finger weg vom Malkasten
Frau Nick hat sich eigentlich nie geschminkt. Finger weg vom Malkasten. Hier greift sie beherzt zu Puder-Quaste und Lippenstift. Noch keine fünf Minuten ist es her, da raubte ihr die Krankheit die Fassung. Doch dann hat sie ihre Tränen mit dem ollen Tempo in die Tasche gestopft. Frau Klomberg zaubert ihr ein blühendes Rot ins Gesicht. Frau Nick schaut in den Spiegel. Ihr Teint ist so optimiert, dass sie fast ein bisschen verlegen wird. „In einer Woche habe ich Goldene Hochzeit.” Noch vorhin war das Jubiläum eine Hürde, die sie glaubte, nicht nehmen zu können.
Auch Rita Koch ist verwandelt. Ihre braunen Augen, vom Puder perfekt betont, wirken nicht mehr weh, sondern warm. Die Haut ist rosig, ja vital. Frau Koch lächelt. „Die Schminke deckt vieles ab.”
Doch Schminke legt auch etwas frei – die Lust, sich selbst wieder gerne anzusehen.