Essen. Nur Kopfschmerzen oder gleich ein Gehirntumor? Viele Patienten suchen zuerst Hilfe im Netz, anstatt zum Arzt zu gehen. Doch das birgt Risiken.

Im Knie zwickt's, und der Rücken schmerzt auch wieder. Sind das nur Wehwehchen oder doch etwas Ernstes? Das Internet gibt ja bekanntlicherweise Antworten auf fast alle Fragen. Warum sollte man dann nicht einfach Dr. Google kontaktieren? Experten zufolge sucht jeder Zweite im Internet nach Diagnosen. Gefährlich wird es, so sagen Ärzte, wenn die Suche krankhaft wird.

Symptome entdecken, die es gar nicht gibt

Cyberchondrie heißt diese psychische Störung, die sich aus den Worten "Cyber" für Internet und "Chondrie", abgeleitet von Hyperchondrie, zusammensetzt. "Das Hypochondrische daran ist dann die ,Entdeckung' der Symptome bei sich selbst und die damit einhergehende Befürchtung, die entsprechende Krankheit zu haben", erklärt Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW.

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Im Normalfall profitieren gut informierte Patienten durchaus vom Internet. Aber: "Die Diagnosestellung übers Internet wird in der Regel nicht funktionieren. Selbst wenn ein Arzt oder Psychotherapeut die Symptomatik geschildert bekommt, wird es ohne persönliche Diagnostik nicht gehen", meint Höhner und verweist auf zusätzliche körperliche Untersuchungen, wie beispielsweise Laborwerte, die zur ärztlichen Diagnose dazu gehören.

Schilddrüse als Suchbegriff Nummer Eins

Allerdings sind die Wartezimmer voll und kurzfristige Termine bei Fachärzten oft schwer zu bekommen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Patienten zunehmend auch im Internet über mögliche Krankheiten informieren. Am meisten suchen die Deutschen mit durchschnittlich 294.000 Anfragen pro Monat nach der Schilddrüsenvergrößerung. Dann folgen die Volkskrankheiten Diabetes (140.220 Suchen pro Monat) und Hämorrhoiden (127.400 Suchen pro Monat). Diese Zahlen sind das Ergebnis der Studie „Praxis Dr. Internet“, die die Central Krankenversicherung aktuell veröffentlicht hat. Deutschlandweit wurden dafür mehr als 41,2 Millionen Google-Suchen über ein Jahr hinweg ausgewertet und nach ihrer fachlichen Qualität bewertet. Das Ergebnis: Von 100 Ratgeberseiten seien 30 Prozent „mangelhaft“ oder sogar „ungenügend“.

Falsche Informationen und falsche Diagnosen

„Angesichts der Tatsache, dass etwa 80 Prozent der Internetsurfer Gesundheitsinformationen im Netz suchen, ist dieses Ergebnis mehr als bedenklich“, erklärt Dr. Markus Homann, Leiter des Gesundheitsmanagements der Central Krankenversicherung. Hier drohe laut Homann, dass Gesundheitssurfer auf Grundlage falscher Informationen selbst Diagnosen erstellen und sich schlimmstenfalls auch selbst behandeln.

Berühmte Hypochonder

Penélope Cruz:
Penélope Cruz: "Ich kenne viele Ärzte, weil ich nur wenigen vertraue. Ich lese über jede Krankheit im Internet." © Getty Images
Harald Schmidt:
Harald Schmidt: "Ich bin sicher wehleidig, aber ein echter Hypochonder war ich wohl nie." © dpa
Antonio Banderas :
Antonio Banderas : "Ich bin ein Hypochonder. Wenn mein Herz mal schneller schlägt, habe ich sofort Angst vor einem Infarkt." © dpa
Daniel Brühl:
Daniel Brühl: "Wenn ich im Internet etwas über eine Krankheit lese, habe ich sie gleich. Ganz extrem war das mit der spanischen Gurke, die unter Ehec-Verdacht stand. Wochenlang war ich panisch und bei jedem Gang zum Klo dachte ich, jetzt ist Ehec da." © dpa
Woody Allen:
Woody Allen: "Wir saßen zu unchristlicher Zeit in der Notaufnahme, als ein Assistenzarzt erklärte: ,Ihr Knutschfleck ist gutartig.' " © dpa
Charlie Chaplin (1889-1977) war ein ausgeprägter Hypochonder. Er hatte ständig Angst, sich zu erkälten. Zugluft war für ihn etwas sehr Gefährliches. Bei einer leichten Brise ließ er sofort alle Fenster schließen – auch im Sommer.
Charlie Chaplin (1889-1977) war ein ausgeprägter Hypochonder. Er hatte ständig Angst, sich zu erkälten. Zugluft war für ihn etwas sehr Gefährliches. Bei einer leichten Brise ließ er sofort alle Fenster schließen – auch im Sommer. © Imago
Ludwig van Beethoven (1770–1827), der zeitlebens damit haderte, als feindselig, störrisch und misanthropisch zu gelten:
Ludwig van Beethoven (1770–1827), der zeitlebens damit haderte, als feindselig, störrisch und misanthropisch zu gelten: "Ich wusste schon als Knabe zu sterben." © dpa
William Shakespeare (1564–1616):
William Shakespeare (1564–1616): "Wär’ ich doch abgelenkt; Schmerz, aufgrund falscher Vorstellung, verlöre das Wissen seiner selbst." © Getty Images
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Gesundheitsportale mit Fachkenntnissen 

Die Dimension wird an einem Beispiel klar: Alleine das Gesundheitsportal "Onmeda.de" verzeichnet nach eigener Auskunft 4,76 Millionen User pro Monat - die meisten davon Frauen (63 Prozent). Demnach sind die am häufigsten gesuchten Themen auch hauptsächlich frauenbezogen. In den Foren wird meist über Verhütung debattiert, Infos und Diagnosen versprechen sich die Patienten von der Redaktion zum Thema "Frauengesundheit". Und die seien fundiert, betonen die Macher des Portals.

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Die Gründe, warum Patienten im Internet nach Hilfe suchen, gehen meist über den einfachen Ratgeberservice hinaus. Ein Beispiel: Einer US-Studie zufolge haben Schwangere häufig Bedarf, sich über das Internet zusätzlich zu informieren. Die Grund: Sie seien unzufrieden mit der ärztlichen Beratung und der zeitlichen Struktur der Vorsorgetermine, deshalb befragen sie zwischenzeitlich auch Dr. Google. So haben es zumindest die Forscher am Penn State College of Medicine in Hershey im "Journal of Medical Internet Research" beschrieben. Das in den Praxen angebotene Infomaterial werde oft als veraltet empfunden, als Alternative seien Apps und erklärende Videos erwünscht.

Genau da greift auch das neue Konzept der Techniker Krankenkasse (TK). Seit September diesen Jahres ist es für Versicherte der TK in einem Pilotprojekt möglich, eine Online-Sprechstunde zu besuchen. "Diese Sprechstunde besteht derzeit aus fünf Dermatologen, die sich in vier Bundesländern via Webcam zuschalten lassen und die Patienten beraten können", erklärt Philip Giewer, Pressesprecher der Krankenkasse. Allerdings ist dieses Angebot mit Einschränkungen verbunden. Der Erstkontakt zwischen Arzt und Patient findet weiterhin in der Praxis statt. Hält der Arzt eine Weiterbehandlung über das Internet für sinnvoll, gibt er die Zugangsdaten an den Patienten weiter. Dieser loggt sich dann zum vereinbarten Termin ein und kann sich dann mit dem Arzt über den Behandlungsfortschritt austauschen. "Gerade für Patienten, die auf dem Land wohnen wird dieses Angebot Vorteile bieten", sagt Giewer. Derzeit könne er noch nicht sagen, wie viele Patienten bereits mitgemacht haben, "aber wir gehen von einer positiven Resonanz aus." Deshalb wird das Pilotprojekt, das es auch in NRW gibt, im Dezember ausgeweitet. Über 100 Hautärzte sollen dann für ihre Patienten auch außerhalb der Praxis zu sprechen sein.

Ratgeber, der kritisch zu sehen ist

Das Thema Online-Medizin gewinnt also an Bedeutung: Die Selbstdiagnose vieler Patienten auf Internetbasis sehen Experten allerdings weiterhin kritisch. Gerade bei psychischen Erkrankungen sei die Ursachenfindung sehr schwierig, meint Dr. Gerd Höhner. Daher sei es fachlich nicht zu verantworten durch einige Suchbegriffe gleich auf eine Diagnose zu schließen. Das führe meist zur falschen Selbstbehandlung. Vor allem für Menschen, die sich für überdurchschnittlich krank halten, sei das Googlen nach Krankheiten eine Gefahr. Experten schätzen, dass 80 Prozent aller Hypochonder unter Cyberchronie leiden. Und die ist gerade nicht über das Internet behandelbar, sondern nur durch den persönlichen Kontakt zu einem Arzt.