Essen. Februar 2015: Deutschland hat Grippe, Erkältung, grippalen Infekt. Viele Ärzte verschreiben jetzt Antibiotika. Doch die sind ins Gerede gekommen.
Man kennt das: Die Nase läuft, dann kratzt es im Hals, nach ein paar Tagen kommt Fieber hinzu. Jeder weiß: Jetzt wäre es das Beste, zu Hause zu bleiben und ein paar Tage auszuruhen. Einerseits. Und andererseits ist da der Bericht, der übermorgen abgegeben werden muss, die lang ersehnte Urlaubsreise, der Kindergeburtstag, für den noch nichts vorbereitet ist. Kurzum: Eine Situation, in der man sich zum Arzt schleppt, ihn mit matten Augen ansieht und sagt: Bitte geben Sie mir etwas, was mich schnell wieder auf die Beine bringt, ich muss durch diese Woche irgendwie durch.
Dies ist der Moment, in dem auch mal ein Antibiotikum verschrieben wird, obwohl es nicht nötig wäre. Gesundheitsbehörden kritisieren das, weil es - neben dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung - die Entstehung und Verbreitung von multiresistenten Keimen fördert. An anderer Stelle, vor allem in Krankenhäusern, kann das Menschenleben kosten. Auch das kennt man, denn man hat davon schon gehört und gelesen. Was also sind Antibiotika - Wunderwaffe oder Teufelszeug?
Wogegen Antibiotika helfen - und wogegen nicht
Grundsätzlich gilt: Antibiotika helfen nur gegen Bakterien - gegen alle anderen Krankheitserreger wie Viren, Pilze und Protozoen (z. B. Malaria) sind sie machtlos. "Bei häufigen Infektionen wie Husten, Schnupfen, Bronchitis oder Grippe, die meist durch Viren ausgelöst werden, helfen Antibiotika nicht", warnt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Eigentlich gehört das ins Reich der medizinischen Binsenweisheiten.
[kein Linktext vorhanden]Und doch stellt das IQWIG fest: Antibiotika "werden viel zu häufig und oft fehlerhaft eingesetzt." Wie kann das sein?
Viral? Bakteriell? Die Unterscheidung ist schwer
Die Sache wird durch zwei Faktoren etwas kompliziert. Faktor eins: Es ist aufwendig, eine bakterielle Infektion sicher nachzuweisen. Dazu müsste jedes Mal eine Probe genommen und im Labor ausgewertet werden. Mit einem Ergebnis ist oft nicht vor Ablauf von zwei Tagen zu rechnen. Darauf weist zum Beispiel der Freiburger Umweltmediziner Franz Daschner hin, dessen Stiftung für einen zurückhaltenden Umgang mit Antibiotika wirbt. "Da viele Ärzte diese Zeit nicht abwarten wollen oder können oder weil es dem Patienten nicht gut geht, verordnen sie gleich Antibiotika und machen vor allem keine bakteriologische Untersuchung. Dies ist der Grund, warum fälschlicherweise viele viral bedingte Infektionen völlig unnötigerweise mit Antibiotika behandelt werden", so Daschner in einer Handreichung auf seiner Website..
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Ein Arzt aus dem Ruhrgebiet, der in diesem Zusammenhang nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigt das sogar. Und er rechtfertigt sich: "Wenn Sie das ganze Wartezimmer voller Kassenpatienten haben, dann fehlt es sowohl an der Zeit als auch am Geld, diese ganzen Untersuchungen zu machen. Und dann verschreiben Sie das Antibiotikum, auch ohne hundertprozentig sicher zu sein."
Oft bereiten Viren den Boden für Bakterien
Und Faktor zwei: Es gibt gar nicht so wenige Viruserkrankungen, in deren Verlauf das geschwächte Gewebe auch von Bakterien angefallen wird. "Superinfektion" nennen so etwas die Ärzte. Der Weg vom Schnupfen über Husten zu Bronchitis und Lungenentzündung ist ein typisches Beispiel dafür. Hier wäre der Einsatz eines Antibiotikums ab einem gewissen Punkt geboten, besonders bei alten und sehr geschwächten Patienten. "Bei schweren bakteriellen Infektionen wie wie zum Beispiel Lungen- oder Gehirnhautentzündungen ist die Anwendung eines Antibiotikums notwendig", meint auch das antibiotika-kritische IQWIG.
Und der Arzt aus dem Ruhrgebiet sagt: "Sicher geben wir Ärzte Antibiotika oft zu früh. Aber man muss auch den umgekehrten Fall bedenken: Wenn Sie ein Antibiotikum zu spät geben, dann landet der Patient mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Und wer trägt dann die Verantwortung?"
Antibiotika können Nebenwirkungen haben
Da Antibiotika Bakterien abtöten oder eindämmen, können sie Auswirkungen auf die Verdauung haben: Die Darmflora leidet, der Patient bekommt Durchfall. Außerdem gibt es Patienten, die auf bestimmte Antibiotika allergisch reagieren.
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Wer an einer leichten bakteriellen Infektion leidet, ist daher oft mit Hausmitteln oder mit pflanzlichen Wirkstoffen besser bedient. Nichts davon wirkt so rigorors wie ein Antibiotikum. Aber das muss es ja auch nicht, wenn die Lage nicht ernst ist.
Wie sollten sich Patienten verhalten?
"Niemand sollte in die Praxis gehen und 'Bitte verschreiben Sie mir ein Antibiotikum' sagen", empfiehlt der Essener Apotheker Rolf-Günther Westhaus. Man könnte an einen Arzt geraten, der in bester Absicht so einem Wunsch schneller nachgibt als nötig. "Und umgekehrt sollte man ruhig mal nachfragen, wenn der Arzt von sich aus ein Antibiotikum verschreibt - und sich erklären lassen, warum es in diesem Fall wirklich nötig ist."
Auf keinen Fall sollten Patienten eigenhändig irgendwelche alten Antibiotika einnehmen, die sie zu Hause im Arzneischrank noch gefunden haben, warnt Apotheker Westhaus. Viel zu kompliziert sei die Wirkung von Antibiotika. Und außerdem: Schon der Fund einer solchen nicht aufgebrauchten Packung sollte einen stutzig machen.
Jedes Antibiotikum verlangt Disziplin
Bakterien sind zäh. Um sie wirkungsvoll bekämpfen zu können, muss man ein Antibiotikum nicht nur in der verschriebenen Dosierung, sondern auch über einen genau vorgegebenen Zeitraum von mehreren Tagen bis Wochen einnehmen. Viele Patienten tun das aber nicht: "Wenn nach zwei oder drei Tagen die Krankheitssymptome verschwinden, setzen viele auch das Antibiotikum ab", klagt Apotheker Westhaus. Dann erholen sich die Bakterien - und die Wahrscheinlichkeit, dass sich resistente Stämme bilden, wird wieder ein bisschen größer.
(Weitere Hinweise zur richtigen Einnahme von Antibiotika gibt das IQWIG auf seiner Seite).