Essen. Rente genießen? Abenteuer in der Ferne? Unser Autor befürchtet: Weil die demografische Realität ignoriert wird, müssen Boomer auch im Alter ran.
Als ich auf die Unterschrift der Kinderärztin warte, kommt plötzlich der Arzt herein, der die Praxis vor einigen Jahren abgegeben hat. Es ist ein erfreutes Wiedersehen, das alte Team liegt sich in den Armen. Der Ex-Chef erzählt von seinem sechswöchigen Südafrika-Trip, der bald ansteht. Aber erst mal geht es nach Frankreich. Während ich mit einem Ohr zuhöre, lese ich eine Nachricht im Family-Gruppenchat auf Whatsapp. Meine Schwägerin postet ein Plakat, mit dem Lesepaten für Kita-Kinder gesucht werden. Meine reiselustige Mutter antwortet: „Wenn wir nicht so oft weg wären, würde ich das gerne machen…“
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Den Ruheständlern von heute geht es glücklicherweise oftmals richtig gut. Sie sind fit, haben das nötige Kleingeld für Flugzeugtickets und Wohnmobile, sind aktiv und abenteuerlustig. Ob sie wissen, dass unsere Gesellschaft kollabiert, wenn sie weiter ihr vollkommen verdientes Privatglück in der Ferne suchen?
Die Demografie spielt im Bundestagswahlkampf mal wieder kaum eine Rolle
Mit jedem Wahlkampf, den man im Leben mitbekommt, regt man sich ein Stück weit weniger darüber auf, dass die wirklich wichtigen Themen nicht im Vordergrund stehen. Bei dieser Bundestagswahl ist es mal wieder die Demografie. Selbst wenn jetzt alle Vollzeit arbeiten gehen und wir verhindern würden, dass kein Jugendlicher mehr ohne Schulabschluss dasteht, müssten wir Massen migrieren lassen, um irgendwie auszugleichen, dass bis 2036 rund 16,5 Millionen Babyboomer in Rente gehen. Natürlich könnten wir jetzt auch alle ganz viele Kinder kriegen, aber dann müssten wir 2036 Zehnjährigen erlauben, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen aufzunehmen.

Machen wir uns also ehrlich: Wir müssen den Babyboomern bald ihre Rente versauen. Nix Freiheit und Abenteuer. Die geburtenstarken Jahrgänge werden nicht nur Lesepaten sein müssen, sie werden ganze Schultage gestalten müssen, um die fehlende Arbeitskraft aufzufangen. Wenn sie es nicht freiwillig tun, kommt irgendwann das soziale Pflichtjahr nach Renteneintritt. Und wenn sie irgendwann nicht mehr können, sind hoffentlich genug Pflegeroboter da.
Oder sie flüchten nach Südafrika. Nicht für sechs Wochen, sondern für immer.
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