Essen. Während Kinder auf Social Media schnell den Schrecken der Welt erleben, werden sie beim Kinderprogramm zu sehr geschont. Muten wir ihnen mehr zu!

Ich habe nichts gegen ein bisschen Political Correctness – verbal auf Minderheiten achtzugeben, das hat viel mehr mit Anstand als mit Freiheitseinschränkung zu tun. Aber als Kind der 90er, der „Golden Era“ des Hip-Hops, bin ich auch von hartem Battle-Rap sozialisiert, in dem gilt: Jeder hat das Recht, (mit viel Humor und sprachlicher Kreativität) beleidigt zu werden. Etwas mehr dieser Derbheit könnte man heute auch Kindern zumuten.

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Sie mögen nun denken: Wie kommt dieser Schreiberling darauf, so etwas zu sagen, wo Kinder der Smartphone-Ära quasi ungefilterten Zugang zu obszönen und gewaltvollen Internetvideos bekommen? Ein eigenartiger Widerspruch von heute ist es, dass Kinder zwar viel schneller auf Inhalte stoßen, die nicht für sie gedacht sind, die „kindergerechten“ Inhalte von heute sind hingegen glatt gebügelt, viel braver, langweiliger als früher.

Eine witzige Persiflage des frühen Bio-Lifestyles

Ein Beispiel ist Bibi Blocksberg, die seit über 45 Jahren Kinderzimmer verhext. In der Hörspielfolge „Die Kuh im Schlafzimmer“ aus 1982 entscheiden die Blocksbergs, ein autarkes Leben zu führen und sich eine Kuh anzuschaffen. Auf dem Weg hin zu dieser Entscheidung, beleidigen sich die Familienmitglieder auch mal als „abgrundtief dämlich“, sie werden vom Metzger angeschimpft, weil sie nicht verstehen wollen, dass der nur „TOTE KÜHE“ verkauft und der Umschwung auf Bio-Kost wird erst einmal stark hinterfragt, „weil Milch von glücklichen Kühen bestimmt dreimal so teuer ist.“ Die arme Kuh, die sich die Blocksberg dann auf dem Land besorgen, wird aufs Autodach geschnallt, von dort aus gemolken – und kackt anschließend in den Aufzug. Es ist völlig absurd, sprachlich frech, eine total witzige Persiflage des frühen Bio-Lifestyles.

Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann. 
Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann.  © Funke Grafik NRW | Catharina Maria Buchholz

„Bibi Blocksberg“ gibt es immer noch. Aber die heutigen Folgen wirken wie Schlaftabletten. Es ist alles so träge, vorhersehbar, unmutig. Wäre man zynisch, könnte man sagen: Die Kinder von heute brauchen halt noch etwas, um nach dem Smartphone-Gescrolle herunterzukommen. Vielleicht wäre die düstere Erwachsenenwelt, zu der man digital so leicht Zutritt bekommt, aber auch dann weniger anziehend, wenn die Bibi von heute einfach mal einen Battle-Rap schreiben würde.