Essen. Der Donnerstag ist für die Schotten der Tag der Entscheidung: Sie bestimmen, ob ihre Heimat Teil von Großbritannien bleibt, oder unabhängig wird. Was passiert, wenn sich die fünf Millionen Einwohner des Landes in die Unabhängigkeit verabschieden? Eine Bestandsaufnahme.

Seit gut 300 Jahren gehört Schottland zum United Kingdom. Am Donnerstag könnte sich das ändern: In einem historischen Votum entscheiden die Schotten über die Unabhängigkeit von Großbritannien. 4,3 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe bei einem Referendum aufgerufen.

Meinungsforscher sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern einer Abspaltung voraus. Vier in der Nacht veröffentlichte Umfragen sehen alle die Gegner der Unabhängigkeit vorn, allerdings nur mit zwei bis sechs Prozentpunkten - zu wenig für eine sichere Prognose. Doch was passiert, wenn sich die Schotten gegen Großbritannien und für die Unabhängigkeit entscheiden?

Konsequenzen für Schottland

Öl: Man wird sich verständigen müssen, wem das Nordsee-Öl gehört. Sollte das Gebiet entlang der geographischen Grenzen aufgeteilt werden, wie sie auch für den Fischfang gelten, fielen Schottland 91 Prozent der bisherigen Förderstellen zu. Die fünf Millionen Schotten träumen von Verhältnissen wie im Ölparadies Norwegen. Die schottische Regionalregierung erwartet für 2016, dem ersten Jahr der Unabhängigkeit, Steuereinnahmen zwischen 6,8 und 7,9 Milliarden Pfund, während die „Behörde für Haushalts-Verantwortung“ nur von 3,3 Milliarden Pfund ausgeht. Allerdings herrscht Unklarheit, wie viel das Öl wirklich wert sein wird. Unklar ist zudem, ob Schottland auch die Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe für die Entsorgung der Pipelines übernehmen muss, wenn die Ölfelder eines Tages leer sind.

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Währung: Es ist offen, welche Währung Schottland haben soll. Alle Parteien in England haben erklärt, dass eine Währungsunion ausgeschlossen ist, während die schottische Regierung davon ausgeht, dass eine Beibehaltung des Pfundes im Interesse aller liegt. Sollte Schottland seine eigene Währung einführen, müsste das Land nach Schätzungen der „Bank of England“ gewaltige Reserven bereitstellen – bis zu 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von 140 Milliarden Pfund.

Atomwaffen: Die vier britischen Atom-U-Boote sind in Faslane an der Westküste Schottlands stationiert. Eine schottische Regierung will darauf stationierte Trident-Atomraketen bis 2020 aus schottischen Gewässern verbannen. Das könnte eine Nato-Mitgliedschaft, die Schottland anstrebt, in Frage stellen.

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Mitgliedschaft in der EU: Die schottische Regierung erwartet einen unkomplizierten Prozess der Aufnahme in die EU, der zudem innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen sein soll. Allerdings müssten alle EU-Mitglieder einer Aufnahme von Schottland zustimmen. Es ist denkbar, dass einige Länder (wie Spanien) gegen eine Aufnahme stimmen würden, um nicht separatistische Bewegungen im eigenen Land zu stärken.

Monarchie: Die „Scottish National Party“ hat erklärt, dass die Queen auch im Fall der Unabhängigkeit Staatsoberhaupt bleiben soll. Andere schottische Parteien dagegen würden eine Republik bevorzugen. Ihr schottisches Schloss Balmoral darf die Queen auf jeden Fall behalten, denn es gehört der Queen.

Das wären die Konsequenzen für Rest-Großbritannien 

David Cameron: Es gilt als wahrscheinlich, dass der britische Premierminister zurücktreten müsste. Er würde dafür verantwortlich gemacht, dass Großbritannien 30 Prozent seines Staatsgebietes verloren hätte.

Politische Landschaft: Von den 59 schottischen Unterhaussitzen gingen in der letzten Wahl 41 an Labour. Ohne sie wäre es nahezu unmöglich für Labour, im Rest-Großbritannien eine Mehrheit zu gewinnen. Der jetzige Labour-Chef Ed Miliband könnte zurücktreten. Das Land würde seinen politischen Schwerpunkt deutlich weiter rechts ansiedeln. Euroskeptische Parteien wie die „United Kingdom Independence Party“ dürften an Einfluss gewinnen.

Wirtschaft: Großbritannien verliert mit Schottland rund zehn Prozent seines Bruttoinlandsproduktes und wäre nicht mehr die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Zwar müsste London auch keine Transferzahlungen mehr nach Schottland leisten – die rund 1200 Pfund pro Kopf und Jahr höher als in England liegen – doch eine Scheidung hätte massive und negative wirtschaftliche Konsequenzen bis hin zum Pfundsturz und einer erneuten Rezession.

Militär: Auf die jetzt schon unter Ausdünnung leidenden britischen Streitkräfte kämen weitere Kürzungen zu. Wahrscheinlich würden die geplanten Flugzeugträger gestrichen werden. Noch hat Großbritannien einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat. Eine massive Schwächung, wie es die Abspaltung Schottlands bedeuten würde, und ein möglicher Verlust der atomar bewaffneten Atom-U-Boote würden den Verbleib unter den fünf Veto-Mächten in Frage stellen.

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Nabelschau und Gezänk: Die Scheidungsverhandlungen würden möglicherweise Jahre in Anspruch nehmen und böten reichlich Potenzial für ausgedehntes Gezänk. Abgeordnete warnen: Das Land würde die nächsten zehn Jahre mit einer Nabelschau beschäftigt sein. Mancher sprach sogar von einer „Demütigung von katastrophalem Ausmaß“.

Das wären die Konsequenzen für Europa und die Welt 

Britischer EU-Austritt: Eine schottische Unabhängigkeit macht einen britischen Austritt aus der Europäischen Union wahrscheinlicher. In einem Referendum über den EU-Verbleib, den die Konservativen für 2017 angesetzt haben, würde das Rest-Königreich wahrscheinlich für den Austritt stimmen. Deutschland würde einen Mitstreiter in der EU für Haushaltsdisziplin, marktwirtschaftliche Reformen und weniger Bürokratie verlieren.

Separatisten: Separatistische Bewegungen werden ermutigt. Innerhalb der EU betrifft dies vor allem das spanische Katalonien und Baskenland, aber auch Flandern in Belgien, das Veneto in Italien und Korsika in Frankreich. Lord Robertson, ehemaliger Generalsekretär der Nato, warnt vor einer „Balkanisierung“ Europas.