Lünen. Der Nürburgring hat Einzug gehalten in den Operationssaal der Klinik am Park in Brambauer. Möglich macht das eine Kooperation des Porschezentrums Aschaffenburg und des Klinikums Westfalen. So brachte Dr. Holger Sauer die verschiedenen Partner zusammen.

Dr. Holger Sauer, Chefarzt für Anästhesiologie an der Klinik am Park in Brambauer, versucht seit drei Jahren, Patienten vor und während medizinischer Eingriffe mit lokaler oder regionaler Anästhesie ihre Ängste zu nehmen. Sein Einsatz zur Verwirklichung des "angstfreien OP" hat Studien ausgelöst und akademische Begleitung.

Eines seiner Projekte: Videobrillen helfen Patienten, sich abzulenken vom Geschehen an der eigenen Hand oder dem eigenen Knie - zum Beispiel mit rasanten Fahrten, miterlebt aus der Cockpit-Perspektive eines Porsche.

Dramatik lenkt besser ab als Entspannung

"Wir haben festgestellt, dass viele Betroffene keine Entspannungsfilme sehen wollen. Beliebter ist ablenkende Dramatik zum Beispiel in der 3D-Version des Kinoerfolges Avatar", erzählt Holger Sauer. Ein anderer Hit im Operationssaal sind Autorennen.

Zu denen hat Dr. Sauer einen ganz persönlichen Zugang. Als ausgebildeter leitender Notarzt ist er schon seit 20 Jahren immer wieder auf dem Nürburgring als Boxenarzt im Einsatz und hat so Kontakt geknüpft zu Porsche-Teams.

Dr. Holger Sauer im Notarzteinsatz am Nürburgring mit Porschezentrumsleiter Stefan Rössel.
Dr. Holger Sauer im Notarzteinsatz am Nürburgring mit Porschezentrumsleiter Stefan Rössel. © Klinikum Westfalen | Unbekannt

Das Porsche-Zentrum Aschaffenburg begeisterte sich für das berufliche Engagement des Chefarztes und machte es möglich, dass künftig Patienten des Klinikums Westfalen aus der Sicht des Fahrers mit einem Porsche Runden drehen und so abgelenkt werden von dem Geschehen im Operationssaal.

Videobrille besser als Bildschirm

Wer es weniger sportlich mag, für den hält das Team von Dr. Sauer natürlich auch andere Filmangebote bereit. Horror scheide für den Einsatz im OP aus, so der Chefarzt, Klassiker aus königlichem Milieu aber werden durchaus für die Videobrille im OP gewählt. Der Vorteil dieser Brille im Vergleich zu einem Bildschirm: die Brille kopple den Patienten stärker von seinem Umfeld ab.

Eingestimmt werden die Patienten auf entspannten Filmgenuss schon vorher. Ihm gehe es nicht nur um die reine Operationszeit, sondern auch um Vorbereitung und Nachsorgephase. Dr. Sauer setzt bei seinen Konzepten auf alle Sinne. Ein spezieller Massagestuhl samt musikalischer Untermalung hilft Wartezeiten zu überbrücken und auch im OP machen Massagematten auf dem OP-Tisch eine Fortsetzung möglich.

Kontrollverlust macht Probleme

Aus der Aromatherapie entlehnt sind zudem Gerüche, die der Patient vorher wählen kann. Mitarbeiterin Christiane Peter hat sich hier viel Fachwissen angeeignet. Und für eine perfekte Lagerung während des Eingriffs haben Dr. Sauer und sein Team spezielle Kissen entwickelt, die auch das Tragen der Videobrillen unterstützen.
"Auch die Zeit im OP ist Lebenszeit", betont Dr. Sauer und die gelte es, mit Qualität zu erleben. Bei einer Operation begebe man sich in die Hände anderer, verliere selbst die Kontrolle. Das sei ein schwieriger Schritt für viele Menschen. Daher sei es angebracht, sich von Seiten des Krankenhauses darum zu bemühen, diese Zeit so positiv wie möglich zu gestalten.

Ein wichtiger Effekt des angstfreien OP: In vielen Fällen kann der Einsatz von Medikamenten zur Beruhigung des Patienten deutlich reduziert werden oder gar ganz entfallen. Das sei besonders für ältere Patienten oder Betroffene mit beginnender Demenz wichtig, die durch solche Mittel unter Umständen erheblich belastet werden, so Dr. Sauer. Das Vermeiden von Angst und Stress im Zuge einer Operation fördere zudem den Heilungsprozess

Massagestuhl zur Pausengestaltung

Das Echo auf all diese Angebote sei rundweg positiv, so Holger Sauer. Viele Patienten entscheiden sich für entsprechende Unterhaltung. Durchaus gewollt nutzen auch die Mitarbeiter zum Beispiel den Massagestuhl zu eigener Pausenentspannung. Mit verschiedenen Fachunternehmen bestehen Kooperationen, um Technik dazu weiter zu entwickeln.

Wissenschaftliche Begleitung

Drei Studentinnen eines internationalen Studiengangs einer Berliner Hochschule, Katharina Urben, Cheak San Jane Cheung und Nadin Perlick befragten jetzt in Lünen Patienten zu ihren Reaktionen auf die Entspannungsangebote. Nach ihrem Urteil nimmt das Projekt von Dr. Holger Sauer ein "Krankenhaus der Zukunft" ein Stück weit vorweg.