Siegen. . Der Tod dreier Frühchen in einer Siegener Kinderklinik bleibt weiter rätselhaft. Am Mittwoch lud die Klinik selbst zur Pressekonferenz ein. Und Perinatalärzte in ganz Deutschland blicken auf die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft.
Sie sind so winzig, dass manche von ihnen in eine ausgestreckte Männerhand passen. Frühchen. Früher geboren als die Natur es eigentlich vorsieht. Die kleinsten von ihnen wiegen gerade 500 Gramm. Junges Leben, so schwach, dass es dem Tod nahe ist. Das Sterben gleich dreier Frühchen innerhalb von zwei Tagen jedoch ist alles andere als normal. Seit einer Woche sucht man deshalb in der Kinderklinik Siegen verzweifelt nach der Ursache. Bislang vergeblich. Und die Verunsicherung wächst.
Multiorganversagen aus „dem Nichts heraus“
Die Siegener Klinik am Mittwochvormittag. Modern und in gepflegtem Gelb-Grau liegt sie auf einem Hügel über Siegen. Ein Haus mit einem guten Ruf. 6000 junge Patienten bis 18 Jahre werden hier jährlich behandelt. Ein erfahrenes Perinatalzentrum, in dem im vergangenen Jahr 69 Frühgeborene unter 1500 Gramm gepäppelt wurden. Doch der Anlass, sich nun direkt an die Öffentlichkeit zu wenden, ist, so Verwaltungschefin Stefanie Wied, ein „sehr, sehr trauriger“.
Sie waren zwei und sieben Tage alt, eines schon drei Monate. Winzlinge, mit noch schwach ausgebildeten Organen, mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Frühgeborene sterben. Auch bei uns nicht. Aber bei allen dreien nahm die Erkrankung einen fulminanten Verlauf. Innerhalb relativ kurzer Zeit sind sie verfallen und gestorben. Es war ein Multiorganversagen aus dem Nichts heraus“, erklärt Prof. Rainer Burghard, Chefarzt der Neonatologie.
„Wir sind in einem Ausnahmezustand“
Die Verzweiflung ist ihnen anzusehen, den Medizinern, den Verwaltungsleuten der Klinik. „Wir sind in einem Ausnahmezustand. Wir reden offen darüber. Um der Kinder und ihrer Eltern willen, und um zukünftige Patienten schützen zu können“, so Stefanie Wied. Gleich nach den ungewöhnlichen Todesfällen hatten sie sich an die Staatsanwaltschaft und das Gesundheitsamt gewandt. Externe und Mediziner des Hauses durchforsten seitdem die Abteilung und deren Abläufe. Sie tauschten Nährlösungen aus, weil es vor einem Jahr ähnliche Todesfälle in der Uniklinik Mainz gegeben hat, und auch Infusionen. Sie stellten schlicht das Haus auf den Kopf. „Auch die externen Experten haben in der Klinik kein Risiko finden können“, erklärt Stefanie Wied.
Auch die Obduktion zweier der Frühchen hat bisher nichts ergeben. „Das dritte Kind wurde direkt nach seinem Tod in der Türkei beerdigt. Unsere Rechtsmediziner versprechen sich wegen der starken Hitze und der Verwesung nichts davon, es ebenfalls zu obduzieren“, so Staatsanwalt Johannes Daheim. Gestern gibt er bekannt, dass Gutachter bei dem Hersteller der in der Klinik verwendeten Nährlösung keinerlei Keime entdecken konnten. „Was nicht heißt, dass nicht doch Keime in die Nährlösung gelangt sein könnten“, betont Daheim.
„Menschlicher Grenzbereich“
Die Klinik hat, wie beschrieben, einen guten Ruf. Mit einer Überlebensquote von 78,8 Prozent der unter 1250 Gramm leichten Frühchen liegt man über dem Landesdurchschnitt. Und wie alle Perinatalmediziner ist man sich auch hier bewusst, sich medizinisch in einem „menschlichen Grenzbereich“ zu bewegen. Die Perinatalmedizin ist gerade einmal 40 Jahre alt, gerettet werden kann, was früher keine Überlebenschance gehabt hätte. Doch es handelt sich dabei, gerade in den ersten Monaten, um sehr unsicheres Leben, mit dem Risiko bleibender Behinderungen bei den sehr früh Geborenen.
„Das ist eine Medizin, die an der Kante ist!“, sagt auch Prof. Rainer Rossi, der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin. Seine Zunft schaue nun auf diesen Fall, so wie vor einem Jahr auf den Mainzer. „Es ist ganz wichtig, dass die Ursache geklärt wird. Wir müssen überprüfen, ob in der Perinatalmedizin alles richtig läuft oder ob wir nachbessern müssen“. Nach seinen Informationen seien alle Siegener Kinder an einer Sepsis, einer Blutvergiftung mit Bakterien, gestorben. „Wir müssen also abwarten, welches Ergebnis die bakterielle Untersuchung bei der Obduktion bringt“, so Rossi.
Mitarbeiter sind hochsensibilisiert
Abwarten. Viel mehr bleibt auch der Staatsanwaltschaft Siegen zur Zeit nicht, nachdem die Kontrollen in der Klinik selbst bislang ohne Ergebnis blieben. Nach der Obduktion stehen noch diverse Untersuchungsergebnisse aus, manche werden erst in Wochen und Monaten vorliegen.
Eine schwierige Situation also, zumal der Krankenhausbetrieb weiterläuft. Auch die 18 Frühchen-Plätze sind komplett belegt. Die Mitarbeiter seien hochsensibilisiert, guckten drei- und viermal hin, so Stefanie Wied. Man führe viele Gespräche mit den Eltern.
„Im Wesentlichen müssen wir abwarten“, gesteht Oberstaatsanwalt Daheim ein und: „Es wäre schlimm, wenn wieder so etwas passieren würde!“