Oberhausen. . Nach der Panik mit rund 60 Verletzten im Centro Oberhausen erheben Polizeigewerkschaften Vorwürfe gegen die Veranstalter. „Sie haben aus der Loveparade-Katastrophe nichts gelernt.“ Centro und RTL weisen jedoch jede Schuld von sich.
Es hätte schlimmer kommen können für Oberhausen. Nach der Panik mit rund 60 Verletzten im Einkaufstempel Centro blicken jetzt viele auf die Nachbarstadt Duisburg. Die Erinnerungen an die Loveparade sitzen noch tief. „Es ist reiner Zufall, dass es diesmal keine Toten gegeben hat“, sagt Erich Rettinghaus von der Deutschen Polizeigewerkschaft NRW. Die Parallelen seien unübersehbar: Wieder habe man die Besucherzahlen völlig unterschätzt und als Folge bei der Sicherheit gespart. Sein Fazit: „Die Veranstalter haben aus der Loveparade-Katastrophe nichts gelernt.“
Das Argument des Centro-Managements, man habe mit einem derartigen Menschenansturm nicht gerechnet, lässt Rettinghaus nicht gelten. „Jeder Veranstalter muss einen Plan B in der Tasche haben. Er trägt schließlich die Verantwortung für Leib und Leben der Menschen, die zu ihm kommen.“ Bei der Sicherheit dürfe unter keinen Umständen geschlampt werden.
„Dilettantisch vorbereitet“
Auch die Gewerkschaft der Polizei NRW sieht Versäumnisse beim Centro-Management und dem Sender RTL. „Vieles deutet darauf hin, dass die Autogrammstunde dilettantisch vorbereitet worden ist“, sagt Sprecher Stephan Hegger. Auch Betroffene berichten von völlig überforderten Sicherheitsleuten und eingeengten Fluchtwegen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Feuerwehr wurde erst zwei Stunden nach Ausbruch des Chaos alarmiert - nicht vom Centro-Management selbst, sondern vom Deutschen Roten Kreuz, das vor Ort bereits Opfer betreute. Merkwürdig ist auch die Vorgehensweise bei der Anmeldung. „So kurzfristig hat uns das Centro noch nie über eine Veranstaltung informiert“, sagt Ralf Terlau, Pressesprecher der Stadt Oberhausen. Am Donnerstagnachmittag habe das Management angerufen und die Autogrammstunde mit 4000 bis 5000 Besuchern für Sonntag angekündigt. Die Coca-Cola-Oase sei als Bühne für solche Veranstaltungen genehmigt. „Aufgrund der geschilderten Rahmenbedingungen war kein formales Antragsverfahren nötig“, sagt Terlau.
Ein Sicherheitskonzept für die Coca-Cola-Oase besteht seit der Eröffnung des Einkaufszentrums. Dieses wird jährlich fortgeschrieben. Die Fläche war demnach für „große Menschenansammlungen“ geeignet. Wegen der geprüften Rettungswege sind in der Oase damit Veranstaltungen mit mehr als 3000 Personen erlaubt.
Videoaufnahmen ausgewertet
Die Videoauswertung ergab nun: Am Sonntag waren weniger als 3000 Personen in der Oase, so Baudezernent Peter Klunk. Auch wenn Augenzeugen von Gedränge innerhalb der Oase sprechen, das größte Problem bildete sich vor dem Einkaufszentrum. Dass die DSDS-Kandidaten vor der Autogrammstunde ausgerechnet hier auf einem Balkon den Massen gezeigt wurden, nannte Ordnungsdezernent Motschull „kontraproduktiv“.
Die Stadt sieht sich selbst nicht in der Verantwortung, findet aber auch entschuldigende Worte für den Veranstalter. „So eine Situation war einfach nicht vorhersehbar“, sagt Terlau. Dennoch wolle man in Zukunft genauer hinschauen. „Für die Autogrammstunde in dem angekündigten Ausmaß waren wir gerüstet“, beteuert auch Centro-Sprecher Jens Knetsch immer wieder. Mit 30 Ordnungskräften sei man bestens vorbereitet gewesen. Vergleiche mit der Loveparade weist er weit von sich: Das Gelände vor der Oase sei weiträumig und offen. Jeder hätte ausweichen können. Das Problem sei allein dadurch entstanden, dass sich die Fans gewaltsam Einlass verschaffen wollten, sagt Knetsch. „Veranstaltungen mit Kandidaten von ‘Deutschland sucht den Superstar’ wird es bei uns auf dem Gelände nicht mehr geben.“
„Selbst bei Justin Bieber kommen nur 3000 Fans“
Ob DSDS-Autogrammstunden generell weiterhin stattfinden werden, wollte RTL dagegen am Montag nicht beantworten. Sprecherin Anke Eickmeyer gegenüber DerWesten: „Wir werden eine Entscheidung darüber fällen, wenn wir mit dem Veranstalter in einem gemeinsamen Gespräch geklärt haben, wie es zu dem Vorfall kommen konnte.“ Die Superstar-Kandidaten selbst hätten das Chaos rund um die Coca-Cola-Oase in seinem Ausmaß natürlich sehr wohl wahrgenommen und seien nach Aussagen von Eickmeyer „sehr betroffen“ gewesen.
Auch hier heißt es: Mit der gigantischen Besucherzahl von 18.000 Fans hätte trotz der Vorfälle mit vergleichbaren Veranstaltungen in Bochum und Duisburg keiner gerechnet. Eickmeyer: „Selbst bei einer Autogrammstunde mit Justin Bieber in New York kommen nur 3000 Fans!“ Mitarbeiter des Senders seien momentan unterwegs, um mit den verletzten Fans und ihren Eltern in Kontakt zu treten. Nach Angaben der Stadt halten sich noch drei Verletzte in Krankenhäusern auf. Insgesamt 28 Personen mussten am Sonntagnachmittag zur medizinischen Versorgung in Krankenhäuser in der Umgebung des Centro eingeliefert werden.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Inzwischen hat das Polizeipräsidium Oberhausen die Ermittlungskommission „Oase“ mit 14 Beamten eingerichtet. Die Staatsanwaltschaft Duisburg prüft, ob ein offizielles Verfahren gegen unbekannt wegen fahrlässiger Körperverletzung eingeleitet wird.
Auch das erinnert an die Loveparade: Jeder zeigt sich betroffen, doch niemand fühlt sich wirklich schuldig. Und am Ende geloben alle Besserung. Immerhin eines hat sich nach der Massenpanik mit 21 Todesopfern im Sommer 2010 geändert: Das NRW-Innenministerium hat die Genehmigung für Open-Air-Veranstaltungen ab 5000 Zuschauern an strengere Vorgaben geknüpft. „Bei öffentlichen Veranstaltungen wie der Anti-Atom-Demonstration in Köln vergangenen Samstag waren die Sicherheitsvorkehrungen deutlich verbessert“, sagt Polizeigewerkschafter Hegger. „Da ist eine Sensibilisierung zu spüren.“