Düsseldorf/Duisburg.

Wer hat Schuld an der Loveparade-Katastrophe? Stadt, Veranstalter und Polizei belasten sich gegenseitig. Vor der Sitzung des Innenausschusses am Donnerstag in Düsseldorf tobt ein Krieg der Gutachter.

Die Zeit, sie vergeht. Am Freitag endet die offizielle Trauerzeit für die Opfer der Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Fünf Wochen ist das Unglück her, doch noch immer schieben sich Stadt, Veranstalter und Polizei gegenseitig die Verantwortung zu. Die Schuldzuweisungen eskalieren.

12 Uhr, Landtag Düsseldorf. Eine Studie für das Innenministerium weist der Stadt Duisburg erhebliche Mitverantwortung an der Tragödie zu. „Es hätte keine Toten geben müssen, wenn alle Beteiligten ihre Arbeit gemacht hätten”, sagt Thomas Stotko, SPD-Innenexperte. Es ist die wohl einzige Feststellung, die unzweifelhaft sein dürfte.

Duisburg hat „übergreifende Zuständigkeit“

Das Gutachten des Bonner Verwaltungsrechtlers Thomas Mayen hat die Kernaussage: Die Stadt Duisburg hatte „eine allgemeine und übergreifende Zuständigkeit für die Sicherheit der gesamten Veranstaltung”, bei der 21 Menschen ihr Leben verloren. Sie hätte demnach auch überprüfen müssen, ob der Veranstalter Lopavent die Auflagen – etwa ausreichend Ordnungskräfte auf der Rampe zur Veranstaltungsfläche und an den Eingangsschleusen oder die rechtzeitige Freigabe des Geländes – erfüllte. „Die Aufsicht über die Einhaltung dieser Vorgaben lag ausschließlich bei der Stadt Duisburg”, so die Gutachter. „Solche Überprüfungen hat es nach unserem Kenntnisstand nicht gegeben”, ergänzt Stotko.

Auch die Entscheidung, ob der Zugang zum Loveparade-Gelände wegen Überfüllung geschlossen werden musste, hätte die Stadt eigenverantwortlich treffen müssen, wie es heißt. Diese Zuständigkeit habe sie sich im Rahmen eines vorbereitenden Szenarien-Workshops sogar vorbehalten. Veranstalter, Polizei und Feuerwehr hätten nur beratende Funktion gehabt. Eine Telefonkonferenz, die das Sicherheitskonzept für den Fall drohender Überfüllung vorsah, habe es nicht gegeben.

Für „gravierende Kommunikationsmängel” zwischen Veranstalter und Polizei sieht Stotko aber keinen Beleg. Ob die Polizei in der Phase der Eskalation von sich aus zum Eingreifen verpflichtet war, „um Leben zu retten”, lässt er offen. „Das muss staatsanwaltlich geklärt werden”, sagte er. „Die Frage ist, ab wann erkennt die Polizei, wir müssen hier übernehmen”, sagt er. Das Gutachten der Kanzlei, die auch von der schwarz-gelben Landesregierung beauftragt wurde, liegt allen Fraktionen vor.

Bericht gegen Bericht

Auch fünf Wochen nach dem Loveparade-Drama ist die Trauer in Duisburg noch groß. (Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool)
Auch fünf Wochen nach dem Loveparade-Drama ist die Trauer in Duisburg noch groß. (Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool) © WAZ FotoPool

Nach dem umfangreichen Bericht des Innenministeriums kommt die SPD zu dem Schluss, dass die Polizei ihre Bedenken vor der Loveparade eingebracht habe. Während der Veranstaltung habe sie dann erkannt, dass Lopavent seine Sicherheitszusagen nicht eingehalten habe.

14 Uhr, City Palais Duisburg, Kongresssaal 5. Die Düsseldorfer Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek bittet die Medien zur Präsentation ihres frisch gedruckten Abschlussberichts. Er entlastet die Stadt Duisburg und ihren (abwesenden) Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Ihnen seien keine Pflichtverstöße nachzuweisen, so lautet die Erkenntnis der Juristen, die im Auftrag der Stadt prüften. „Die Stadt hat keine Fehler gemacht“, sagt Rechtsanwalt Andreas Berstermann, „und sie hat ihre Amtspflichten beachtet.“

Die Verteidigungsrede führt Rechtsanwältin Ute Jasper. Ganz in Schwarz ist sie gekleidet. Sie sei sich des Ernstes des Berichts und des traurigen Anlasses bewusst, merkt sie an. Mit ganzem Sachverstand habe die Kanzlei diesen bislang wohl wichtigsten Auftrag bearbeitet. Es ist, als wenn Jasper anreden muss gegen die einführenden Worte des Duisburger Stadtdirektors Peter Greulich, der gesagt hatte: „Eine Kanzlei wie diese, zu der 220 Anwälte gehören, wird sich ihren Ruf nicht durch den Vorwurf beschädigen lassen, ein Gefälligkeitsgutachten geschrieben zu haben.“

Im Kern argumentieren die Juristen so: Für die Gefahrenabwehr auf dem Partygelände seien alleine der Veranstalter Lopavent und die Polizei zuständig gewesen. Für das Scheitern des Sicherheitskonzepts trage die Stadt keine Verantwortung, da sie an der Erstellung nicht beteiligt und für die Einhaltung nicht zuständig gewesen sei, führt die Kanzlei aus. „Das Sicherheitskonzept wurde im Einvernehmen mit der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden aufgestellt. Die Bauaufsicht hatte keine gesetzliche Kompetenz, dieses Konzept zu prüfen“, sagt Ute Jasper. Schließlich seien auf der Abschlussbesprechung am 15. Juli keinerlei Bedenken geäußert worden: „Die Präsentation des Einsatzleiters der Polizei endete mit dem Satz: Wir sehen uns gut aufgestellt“, argumentiert die Juristin.

Gitter auf der Rampe

In den Mittelpunkt rückt die Frage, ob die Stadt Duisburg eine Mitverantwortung trägt, dass es im Tunnel sowie durch nicht weggeräumte Gitter auf der Rampe zu der verhängnisvollen Überfüllung kam und Schleusen nicht geschlossen wurden. Auch hier sieht das Gutachten den Veranstalter in der Pflicht. Ein Versäumnis der Stadt sehen die Juristen nicht, da die Sicherheitsauflagen eindeutig gewesen seien: „Das Ordnungsamt ist nicht in der Pflicht, die Polizei zu überwachen.“

Unklar bleibt, ob die Stadt das Veranstaltungsgelände wegen Überfüllung frühzeitig hätte sperren müssen. Nach Darstellung der Kanzlei Heuking sei dieser Fall nicht eingetreten, da die kritische Besucherzahl von 250 000 Menschen nicht annähernd erreicht worden sei. Das Gutachten des Innenministeriums indes sagt das Gegenteil.

Gutachten gegen Gutachten also. Im Düsseldorfer Landtag dürfte es am Donnerstag hitzig zugehen.