Essen. .
Die Polizei soll in Sachen Loveparade viel früher als bislang bekannt Bedenken gegen den einzigen geplanten Zugang zum Partygelände angemeldet haben. Dies beweisen neue Dokumente der Stadtverwaltung Duisburg.
Neue Dokumente aus der Stadtverwaltung Duisburg, die der WAZ-Mediengruppe vorliegen, beweisen, dass die Polizei in Sachen Loveparade viel früher als bislang bekannt Bedenken gegen den einzigen geplanten Zugang zum Partygelände über den Tunnel an der Karl-Lehr-Straße angemeldet hatte. So heißt es bereits in einer Dokumentation der möglichen Probleme der Loveparade vom 26. Oktober 2009 unter Punkt 28, der Tunnel könne bei einem Unwetter vollaufen. In der Folge könne es zu unbeherrschbaren Platzproblemen vor Ort kommen.
Weiter geht aus den vorliegenden Dokumenten hervor, warum sich die Organisatoren auf den Tunnel als Zugang konzentrierten und nicht die Autobahn A 59 als Zuweg zum Partygelände sperrten. Tatsächlich wurde diese Idee von den Verantwortlichen diskutiert, um die Engstelle im Tunnel zu umgehen. Allerdings blockierte ausgerechnet das NRW-Verkehrsministerium unter dem damaligen Verkehrsminister Lutz Lienenkämper (CDU) diese Pläne.
A40-Sperrung sollte eine Ausnahme bleiben
Es heißt in den Papieren, die Sperrung der A 40 für das Kulturhauptstadt-Projekt „Stillleben“ solle eine einmalige Ausnahme bleiben. Weitere Sperrungen seien nicht vorgesehen. Zudem seien Bauarbeiten auf der A 59 geplant. Müssten diese wegen der Loveparade verschoben werden, würde dies teuer werden.
Eine Zusage des Ministers Lienenkämper auf der Immobilienmesse Expo Real in München Anfang Oktober 2009, eine Sperrung der A 59 wenigstens zu prüfen, wurde wenige Tage später von untergeordneten Behörden widerrufen. „Die Stadt Duisburg habe möglicherweise zuviel in die Worte des Ministers interpretiert“, heißt es in einem Gesprächsprotokoll vom 20. Oktober. Diese Ablehnung ist ursächlich dafür, dass trotz Sicherheitsbedenken nur noch der Karl-Lehr-Tunnel als einziger Zugang zur Loveparade in Frage kam.
Die Unterlagen belegen, dass es viele Verantwortliche für das Planungs-Desaster im Vorfeld der Loveparade gibt. Während in der Stadtverwaltung vor allem der Beigeordnete für Sicherheit und Recht, Wolfgang Rabe, jeden Widerstand gegen das Projekt brach, waren in der NRW-Landesregierung CDU-Minister wie Lienenkämper oder Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff mit der Loveparade befasst.
Schaller kämpft um die öffentliche Meinung
Davon unabhängig geht es darum, zu klären, wer die Katastrophe selbst zu verantworten hat. Und hier gerät die Aufklärung immer mehr zu einem Kampf um die öffentliche Meinung. Nachdem der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland schon ausgeführt hat, dass viele andere schuldig seien, nur er selbst nicht, kündigte nun Veranstalter Rainer Schaller über den Spiegel an, Überwachungsvideos im Internet zu veröffentlichen, die seiner Meinung nach die Schuld der Polizei am Unglück beweisen würden.
Die Polizeiführung in NRW wies die Vorwürfe umgehend zurück. Schaller versuche damit nur im Vorfeld einer Sitzung des Innenausschusses im NRW-Landtag von eigenem Versagen abzulenken.
Tatsächlich brachte die Ankündigung Schallers nichts Neues. Schon vorher hatte er versucht, die Polizei mit Hilfe von lancierten Videoaufnahmen für die Katastrophe verantwortlich zu machen. Die Beamten hätten eine Sperrkette auf der Rampe zum Festivalgelände fälschlicherweise aufrecht gehalten, hieß es.
Zu den wirklich interessanten Fragen sagte Schaller bislang wenig: So konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Katastrophe ihren Ausgang nahm, weil Schallers Sicherheitskonzept komplett versagte. Weder war er in der Lage, die Massen kontrolliert zu lenken, noch funktionierte seine Idee, die Party-Besucher mit Hilfe der Lautsprecherwagen über das Duisburger Loveparade-Gelände zu verteilen. Hier wäre es wichtig, dass Schaller detailliert über die von ihm beschäftigten Ordner Auskunft gibt. Nach Recherchen dieser Zeitung waren darunter etliche so genannte „Platzhalter“. Also ungeeignete Personen, wie Alte, Kranke oder Minderjährige, die nur zur nominellen Aufstockung der benötigten Kapazitäten kurzfristig beschäftigt waren.
Davon abgesehen gilt es, mögliche Fehler der Polizei aufzuklären. Hier ist offen, wer die Anordnungen gab, die Kette auf der Rampe bis kurz vor Beginn der Massenpanik zu halten und wer darüber wann informiert war. Aus Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, geht hervor, dass das NRW-Innenministerium am Tag der Katastrophe „präventiv“ einen Krisenstab „aktiviert“ hatte. Dieser sollte am Beispiel der Loveparade den Umgang mit Desastern einüben. Die Arbeit des Krisenstabes wurde dokumentiert.