Évian-les-Bains. Der neue DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht über den 2018 auslaufenden Vertrag des Bundestrainers, die Terrornacht von Paris und die Ausschreitungen von Lille und Marseille.
Er sei nah dran an der Mannschaft, sagt Reinhard Grindel, dessen Aussage wortwörtlich genommen werden darf. Der neue DFB-Präsident kommt gerade vom Training der Mannschaft, bestellt sich einen Latte Macchiato und setzt sich in die Lobby des Royal Hotels in Évian-les-Bains. Die Luxusherberge und das Teamquartier Ermitage sind lediglich durch eine kleine Straße voneinander getrennt – und durch einen Stern. Das Royal hat fünf, das Ermitage vier Sterne.
Herr Grindel, was überwiegt nach dem EM-Auftaktwochende: Die Freude über den 2:0-Sieg gegen die Ukraine oder die Bestürzung über die zahlreichen Bilder von Hooligans-Ausschreitungen?
Reinhard Grindel: Das sportliche sollte bei dieser EM im Mittelpunkt stehen, von daher überwiegt bei mir die Freude über den Sieg unserer Mannschaft. Ganz besonders habe ich mich über das Tor von Bastian Schweinsteiger gefreut. Gleichwohl haben die Bilder aus Marseille uns alle betroffen gemacht. Es ist traurig, dass Gewalttäter die Bühne Fußball auch bei dieser EM für ihre kriminellen Exzesse missbrauchen.
Auch In Lille, wo am Sonntag das einstige Hooliganopfer Daniel Nível zu Gast war, haben deutsche Fans randaliert. Fühlt man sich da machtlos?
Grindel: Ich bin den Sicherheitskräften, vor allem auch den szenekundigen deutschen Beamten, dankbar, dass sie dazu beigetragen haben, dass außerhalb des Stadions Schlimmeres verhindert wurde. Im Stadion ist es ruhig geblieben. Ich denke es hat sich bewährt, dass wir die Karten an die Mitglieder unseres Fanclubs gegeben und damit eine gewisse Kontrolle haben. Leider kann man nie ganz ausschließen, dass durch den freien Verkauf der Uefa auch andere Gruppen an Tickets kommen, denen es gar nicht um den Fußball geht. Vor diesem Hintergrund hat unser Treffen mit Daniel Nivel traurige Aktualität bekommen. Seine Geschichte sollte uns allen Mahnung sein, dass so etwas nie mehr passieren darf.
Haben Sie Sorge vor dem Aufeinandertreffen am Donnerstag gegen Polen?
Grindel: Alle für die Sicherheit zuständigen Stellen müssen aus den Erfahrungen bei diesem Turnier lernen und das Vorgehen weiter optimieren. Ein Beispiel ist die Aufstockung der deutschen Polizeidelegation, um ausreichend Personal zu haben, sollten sich die gewaltbereiten Gruppen aufteilen. Auf der anderen Seite hat der Fanwalk mit rund 3000 deutschen Fans in Lille gezeigt, dass die große Mehrheit der Fans unser Team so sagenhaft wie gegen die Ukraine unterstützen will.
Auf finanzielle Unterstützung dürfen sich die Nationalspieler freuen, wenn sie tatsächlich den EM-Titel holen. Wie hart waren Ihre ersten Verhandlungen um eine angemessene EM-Prämie?
Grindel: Es waren sehr faire und gute Gespräche. Aber ich muss zugeben, dass ich schon überrascht war, wie gut informiert unsere Spieler in das Gespräch gegangen waren. Sie wussten genau über unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten Bescheid, hatten sich auch über unsere Marketingaktivitäten informiert. Ich finde das gut. Das zeigt doch auch, dass wir eine sehr selbstbewusste Spielergeneration haben.
Wurde eine Zahl auf einen Zettel geschrieben und dann hin und her geschoben?
Grindel: Nein, so war das nicht. Ich denke, wir haben da einen sehr offenen und fairen Umgang miteinander. Wir haben uns relativ schnell auf die gleiche Titelprämie wie vor der WM 2014 geeinigt. 300.000 Euro für jeden. Die Spieler werden daneben auch an den Marketingerlösen beteiligt.
Ein EM-Sieg kostet den DFB 23 Millionen Euro. Waren Sie über die Höhe der Summe ein wenig geschockt?
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Grindel: Als ehemaliger Schatzmeister kannte ich ja die Kosten des WM-Titels. Die beliefen sich auch auf etwa diese Summe. Und mir war klar, dass es in Frankreich, wo wir vor allem höhere Ausgaben für die Sicherheit haben werden, nicht billiger wird. Aber ich habe im direkten Gespräch mit Gianni Infantino (der neue Fifa-Präsident, die Red.) angesprochen, ob man nicht bei der Ausschüttung der WM-Einnahmen die Verbände stärker berücksichtigen kann. Das gilt natürlich auch für die Uefa. Ein Champions-League-Sieger geht mit 60 bis 70 Millionen Euro vom Platz, ein Europameister bekommt dagegen nur gut 25 Millionen Euro, obwohl dieses Turnier nur alle vier Jahre stattfindet. Da gibt es Optimierungsbedarf. Ein EM-Titel muss einfach auch wirtschaftlich wertvoller werden.
Um das ganz große Geld soll es auch während der EM gehen, wenn das DFB-Präsidium auf ihrer Sitzung in Paris entscheiden muss, ob man den 2018 auslaufenden Vertrag mit Adidas verlängert oder ob man ein angeblich „unmoralisches Angebot“ von Nike annimmt. Entscheidet in dieser Frage am Ende nur der bessere Preis?
Grindel (legt den Finger auf den Mund): Die Verhandlungen laufen, deshalb hören sie dazu von mir nichts.
Adidas war immer ein DFB-Sponsor. Sind Sie in dieser Frage Fußballromantiker?
Grindel: Ich bin Präsident eines gemeinnützigen Verbands. Und als dieser muss ich das herausholen, was der Markt hergibt.
Die Präsidiumssitzung beim letzten Turnier in Brasilien hatte es in sich. Damals wurde Theo Zwanziger zum Rücktritt aus der Fifa-Exekutive aufgefordert. Muss man – nach allem, was man so hört – nun auch ähnliches von Ihrem Vorgänger Wolfgang Niersbach fordern?
Grindel: Die Ethikkommission hat sich mit dem Vorgang befasst und das Urteil der Beschlusskammer muss zunächst einmal abgewartet werden. Bevor dies nicht passiert ist, werden wir uns nicht zu dieser Frage äußern.
So denkt der DFB-Präsident über die Terrornacht von Paris
Das Präsidium tagt tagsüber in Paris, abends kehren Sie zurück ins Stade de France, wo Sie auch beim Terror-Spiel im vergangenen November dabei waren. Haben Sie ein mulmiges Gefühl?
Grindel: Nein, das habe ich nicht. Aber sicherlich werde auch ich an die Momente zurück erinnert, als die beiden Sprengsätze gezündet wurden.
Wussten Sie sofort, was Sache ist?
Grindel: Erst beim zweiten Sprengsatz wurde mir klar, dass es sich um einen Anschlag handeln könnte. Ich erinnere mich, dass ich schon nach dem ersten Knall zu Peter Peters, dem Finanzchef von Schalke 04, gesagt habe, dass wir uns an François Hollande (französischer Präsident, die Red.), Frank-Walter Steinmeier (deutscher Außenminister, die Red.) und deren zahlreichen Sicherheitsleute orientieren sollten, wenn jetzt noch etwas passiert. Die beiden saßen nur ein paar Reihen von uns entfernt.
Aber im Gegensatz zu Hollande und Steinmeier blieben Sie im Stadion.
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Grindel: Das stimmt. Die beiden wurden sofort in Sicherheit gebracht. Dabei hieß es zunächst, dass es eine Gasexplosion gegeben habe. Daran habe ich aber nicht geglaubt. In der Halbzeitpause habe ich dann auch konkrete Hinweise bekommen, dass es ein Anschlag gewesen sein könnte.
Ein Albtraum.
Grindel: So richtig geschockt war ich, als ich dann nach dem Spiel mit der Mannschaft in der Kabine war und im Fernsehen verfolgen konnte, was wirklich gerade alles in der Innenstadt passierte. Das ging weit über das hinaus, was man sich zuvor auf der Tribüne vorstellen konnte. Man spürte, dass unsere Zivilgesellschaft gerade fundamental angegriffen wurde.
Der Terror von Paris, die Ausschreitungen in Marseille und in Lille, die Debatte um die möglichen Aussagen von AfD-Vize Gauland. Was sagt der frühere Politiker Grindel dazu, dass es im Fußball nur noch um Politik geht?
Grindel: Fußball ist eben ein Spiegelbild der Gesellschaft. Der Fußball bietet eine Bühne, die für besonders viel Aufmerksamkeit sorgt. Leider suchen immer öfter die Falschen diese Bühne. Der Fußball wird nicht politischer, aber er wird immer häufiger instrumentalisiert.
Hat Herr Gauland den Fußball in den vergangenen Wochen auch instrumentalisiert, als er über den Nachbarn Boateng und über Özils Pilgerfahrt nach Mekka philosophierte?
Grindel: Dieser Populismus hat nicht funktioniert. Jerome Boateng oder Mesut Özil sind für viele Menschen gefühlte und willkommene Nachbarn, weil jeder sie kennt. Nachbarschaft und Integration funktionieren immer dann, wenn sich die Menschen kennen lernen und aufeinander zugehen. Und Herr Gauland hat übersehen, dass Jerome Boateng für viele Menschen eben kein Fremder ist. Ganz im Gegenteil. Gaulands Auslassungen sind kräftig nach hinten losgegangen. Und wenn ich das hinzufügen darf: Zurecht.
Sie galten als extrem konservativer CDUler. Haben sich Ihre Überzeugungen ein wenig durch die AfD-Debatte der vergangenen Wochen verändert?
Grindel: Nein. Ich war immer von der Notwendigkeit von Integration und der besonderen Kraft des Sports in diesem Zusammenhang überzeugt. Ich habe immer betont, dass es zur Integration keine Alternative gibt. Insofern haben sich meine Überzeugungen nicht geändert.
Zurück zur Fußball-Politik: Wünschen Sie sich, dass Trainer Joachim Löw zeitnahe nach einem EM-Titel seinen 2018 auslaufenden Vertrag verlängert?
Grindel: Ich halte Joachim Löw für den besten Trainer für unsere Nationalmannschaft. An diesem Urteil wird sich auch nichts ändern, wenn Deutschland nicht den EM-Titel holt. Und selbstverständlich wünsche ich mir, dass wir mit Joachim Löw noch sehr lange zusammen arbeiten. Wenn der Bundestrainer nach der EM auf mich zukommt und über eine Vertragsverlängerung reden möchte, werden wir uns zusammensetzen.
Ob Sie als DFB-Präsident noch bis 2018 dabei sind, wird sich im November entscheiden. Würden Sie als Präsident auch weiter machen, wenn die Bundesliga-Vertreter Sie nicht wählen?
Grindel: Ich habe ja schon vor meiner ersten Wahl deutlich gemacht, dass ich gleichermaßen von Amateurverbänden und von der Liga getragen werden möchte. Das ist mir auch weitgehend gelungen. Lediglich zwei Vereine haben nicht für mich gestimmt – und natürlich ist es jetzt mein Ziel, ohne mich dabei zu verbiegen, auch diese beiden Vereine noch zu überzeugen.