Essen. Es ist ein Novum in der Gesetzgebung: Verkehrsminister Peter Ramsauer hat den Reform-Entwurf zur Verkehrssünder-Kartei ins Netz gestellt und lässt die viel beschrieene “Schwarmintelligenz“ darüber diskutieren. Seit Dienstag läuft die Debatte. Nur selten müssen Ramsauers Moderatoren eingreifen.
Ist Peter Ramsauer heimlich ein Pirat? Der Bundesverkehrsminister von der CSU kopiert gerade die „liquid democracy“ der Internet-Partei. Er fordert die Schwarmintelligenz von 53 Millionen Führerscheinbesitzern in diesem Land heraus. Die soll ihm helfen, das neue Gesetz zur Flensburger Punktedatei zu basteln.
Ramsauers Plan: Für leichtere Delikte gibt es nur noch einen Punkt, für alle schwereren zwei. Bei acht Punkten – statt 18 - ist der Führerschein weg. Zusätzlich im Angebot: eine „Punkteampel“ mit drei Vorwarnstufen.
„Mehr Durchblick“ bei der Verkehrssünderdatei soll das bringen. Was nötig scheint: Derzeit sind erstmals über neun Millionen Autofahrer in Flensburg eingetragen. Ein Jahr lang haben die Ministeriumsexperten über den Plänen gebrütet. Am 28. Februar wurden sie vorgestellt. Dann platzierte der Minister den Coup: Statt den Entwurf ausschließlich Verbänden und Gremien des Bundestags zu schicken, was bisher mit allen neuen Gesetzen passiert, lässt er sie einen Monat lang im Internet von der Netzgemeinde debattieren.
Die ersten 24 Stunden verlaufen ohne Shitstorm
„Erstmals“, so das Ministerium, „können Anregungen frühzeitig berücksichtigt werden“. Auf diese Idee ist noch nicht einmal die so netzaffine Kanzlerin gekommen. "Am ersten Tag hatten wir 300 registrierte Teilnehmer, 4500 Besucher und 130 registrierte Beiträge. Das ist ein guter Start. Jetzt wird die Sache bekannt", sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber der WAZ-Mediengruppe. Nach Auswertung der Internet-Debatte müssen wir sehen, welche Vorschläge und Anregungen wir in den Gesetzentwurf übernehmen". Ramsauer selbst ist nach eigenen Angaben "sehr zufrieden".
Die ersten 24 Stunden der Premiere sind ohne Shitstorm verlaufen. Überschlagene 250 Nutzer haben sich seit dem 1. Mai, 7 Uhr früh gemeldet. Die Netzwelt gibt mit fairem Umgang gleich das Vorbild für gute Verkehrsmoral.
Pro und Kontra halten sich die Waage, auch wenn viele User kritisieren, dass es zwar einen „Gefällt mir“-Knopf gibt, nicht aber einen mit „Gefällt mir nicht“. „Sehr zweifelhaft“ sei das doch, mahnte früh Nutzer kasko. Bitte, sagt da der Moderator, wem die vorgeschlagene Reform nicht gefällt, der solle nicht nur ablehnend votieren können. „Wir möchten gerne weitere Ideen von Ihnen erhalten“.
Sollen Vielfahrer mehr Rechte haben als Gelegenheitsfahrer?
Auch wenn nicht wenige, wie driver01, Ramsauers Aktion für eine reine „Imagekampagne“ halten - das Für und Wider der Gesetzesnovelle steht im Mittelpunkt. Konkreter noch: Sollen Vielfahrer bevorzugt oder benachteiligt werden? Zwischen Kilometerfressern und Gelegenheitstuckern tun sich im Netz gerade Welten auf.
Odentlicherchaot findet es ungerecht, dass „Menschen, die beruflich oder privat sehr viele Kilometer fahren, eine viel höhere Wahrscheinlichkeit haben geblitzt zu werden und Punkte einzusammeln“ - und spricht Vielfahrern aus der Seele.
„Die Autobahn ist so etwas wie mein Arbeitsplatz“, postet Serviceler, „dennoch habe ich nicht einen Punkt in Flensburg. Mit dem neuen System sehe ich jedoch die Gefahr, dass man sehr schnell ins Punkte-Abseits gerät“. Schon eine „schlechte Woche“ reiche „mit dem Handy am Ohr und einer kirschgrünen Ampel, und man begibt sich auf dünnes Eis“.
Basta aus Berlin: Alle werden gleichbehandelt
Anders Hirschvogel. Er misstraut dem neuen System (und damit wohl auch Ramsauer) und fragt: „Warum dürfen berufliche Fahrer mehr Verstöße machen?“ Die müssten, fordert er, doch eher „eingebremst“ werden.
Es ist der Moment für das Basta aus Berlin: „Alle Verkehrsteilnehmer werden gleich behandelt“, spricht Ramsauers Moderator das Machtwort.
Richtig Arbeit hat sich Winfried Schneider aus Düsseldorf gemacht. Seitenlang bringt er die eigene „Schrift“ in das Gesetzgebungsverfahren ein. Er bittet die Moderatoren dafür „um Verständnis“, geht Absatz für Absatz durch. Zum Beispiel wittert er, dass die Strafe fürs Telefonieren am Steuer verdoppelt wird, „wenn die Benutzung des Mobiltelefons im alten wie im neuen System mit einem Punkt sanktioniert wird“. Auch ist Nutzer Schneider gegen Punkte für die, die ein Tempolimit aus Lärmschutzgründen missachten. „Es ist ja keine Gefährdung vorhanden“.
Gelegenheit sich einzuschalten gibt es reichlich. Vier Wochen läuft der Pilot, jede Woche unter einem eigenen Überthema. Das Portal www.punkte-forum.de ist an sieben Tagen pro Woche zwischen 7 und 22 Uhr geöffnet. Abends machen Fachleute mit.